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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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französischer Baumeister. Der Doctor lathomorum Pierre de
Montereau, Baumeister der Abteikirche von St. Denis, war sein Lehrer gewesen,
und zu Jean de Chelles, unter dessen Leitung Notre Dame entstand, pflegte er
regen Kontakt. Gerhard Morart hatte weiß Gott eine beispiellose Schule
genossen.
    Vor allem aber hatte er es geschafft, eine ganze Hütte von
Vorarbeitern aufzubauen, die in der neuen Stilform bewandert waren.
    Einen Moment wünschte sich Mathias, einfach umzukehren und alles zu
vergessen. Aber dafür war es jetzt zu spät. Es war schon zu spät gewesen, als
ihre Gruppe sich das erste Mal zusammengefunden hatte.
    Er schob die Zweifel beiseite und fühlte seine gewohnte Ruhe
zurückkehren. Sein großer Vorteil war die Fähigkeit zum Stoizismus. Weder
Johann noch Daniel besaßen den nötigen Pragmatismus, um ihr gemeinsames
Vorhaben nüchtern anzugehen. Sie neigten zu Wutausbrüchen, moralischem
Katzenjammer und Wankelmut. Im Grunde fühlte sich Mathias allenfalls der alten
Frau verbunden. Nicht von Herzen, das überhaupt nicht! – Aber vom Verstand.
    Die Glocke von St. Maria ad Gradus im Osten der Dombaustelle schlug
fünf.
    Mathias beschleunigte seinen Schritt und wanderte den neuen
Kapellenkranz entlang, vorbei an den Resten der alten Römermauer, bog gegenüber
der Pfaffenpforte rechts in die Marzellenstraße ein und folgte ihr, bis nach
einigen hundert Metern die Abzweigung zum Ursula-Stift kam.
    Hier waren kaum noch Menschen in den Gassen. Die Klosteranlage war
von einer rund vier Meter hohen Mauer umgeben und besaß lediglich einen
schmalen Durchgang, der gewöhnlich offen stand. Mathias schritt unter dem
niedrigen Torbogen hindurch in den lang gestreckten Innenhof. Rechts lag die
Stiftskirche, ein eher kleines, unscheinbares, aber nichtsdestoweniger schönes
Gebäude mit einem einzigen, spitzen Turm und ein paar vorgelagerten Gebäuden.
Angesichts der bieder-beschaulichen Atmosphäre holte die Wirklichkeit Mathias’
bescheidene Vorstellungen von den Proportionen eines Gotteshauses wieder ein.
Er wusste, dass es ihm an der nötigen Fantasie mangelte, sich den neuen Dom in
seiner Vollendung vorzustellen. Manchmal bedauerte er die Blindheit der puren
Vernunft. Dann wieder schien ihm das titanische Unterfangen ein Sinnbild seiner
eigenen Bestrebungen zu sein, jede Mühe wert, und er verfolgte mit glühender
Begeisterung, wie Stein auf Stein gesetzt wurde, erschauderte angesichts der
Macht von Winkeleisen, Latte, Lot und Schnur, brachte Stunden damit zu, die
Zimmerleute, Holzknechte und Steinmetze zu beobachten und den Windenknechten
zuzusehen, wie sie kraft ihrer Arme und Beine Tonnen von Drachenfelser Gestein
in die Lüfte hievten, wie die Maurer es oben kantengenau aufeinander
schichteten und der Dom in den Himmel wuchs gleich einem lebendigen Wesen. In
solchen Momenten fühlte er einen unbeschreiblichen Willen zur Macht, und er
schloss die Augen und dachte voller Stolz an die Zukunft.
    Dann dachte er wieder an die alte Frau, und plötzlich überkam ihn
die Vision einer gigantischen Ruine.
    Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer, die den Baumgarten
der Kirche umgab, und sah hinaus auf den leeren Hof. In Höhe des Kirchturms
stand ein Brunnen. Nach einer längeren Zeit kamen zwei ehrwürdige Stiftsdamen
aus dem gegenüberliegenden Gebäude, um Wasser zu schöpfen. Sie warfen ihm einen
schnellen Blick zu und taten, als interessiere er sie nicht.
    Wenn der Mann, den er hier treffen wollte, nicht bald aufkreuzte,
musste er unverrichteter Dinge wieder gehen.
    Er fluchte leise.
    Â» Fiat lux «, sagte Urquhart.
    Mathias stieß sich heftig von der Mauer ab und taxierte den Hof nach
allen Seiten. Niemand war zu sehen.
    Â»Hier oben.«
    Sein Blick wanderte die Mauer empor. Urquhart saß direkt über ihm
auf der Kante und neigte lächelnd den Kopf.
    Â»Was zum Teufel tut Ihr da?«, fragte Mathias.
    Â»Ich warte auf Euch«, erwiderte Urquhart in der ihm eigenen Weise,
Höflichkeit mit leisem Spott zu würzen.
    Â»Und ich auf Euch«, erwiderte Mathias scharf. »Hättet Ihr wohl die
Güte, herunterzukommen?«
    Â»Wozu?« Urquhart lachte. »Kommt meinethalben zu mir auf die Mauer.«
    Mathias betrachtete ihn ausdruckslos. »Ihr wisst genau, dass ich das
nicht –« Dann stutzte er und sah genauer hin. »Wie habt Ihr überhaupt da
raufgefunden?«, fragte er
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