Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
Vom Netzwerk:
Ernennung zu einem der angesehensten und einflussreichsten
Bürger aufgestiegen, vom Domkapitel mit einem Grundstück bedacht, auf dem er
sich ein prächtiges Haus aus Stein errichtet hatte, ganz in der Manier der
edlen Geschlechter. Er verkehrte mit den Familien der Overstolzen, derer von
Mainz und den Kones, sämtlich Patrizier. Sein Rat war gefragt, seine Arbeit
bewundert und zugleich gefürchtet wie er selber. Zu seinen Lebzeiten schon war
Gerhard eine Legende geworden, und es gab nicht wenige, die glaubten, er würde
es mit Hilfe des Leibhaftigen noch vor seinem Tode schaffen, das unmögliche Werk
zu vollenden, um dann von der höchsten Domspitze geradewegs zur Hölle zu
fahren, den hochtrabenden, eitlen Konrad als Gesellen.
    Noch allerdings schien Jacop der Dom weniger das Resultat dunkler
Verträge als vielmehr harter Arbeit zu sein.
    Gerhard Morart hatte inzwischen die höchste Ebene des Gerüsts
erstiegen. Seine massige Silhouette hob sich schwarz gegen das Licht ab, das
vom Tag geblieben war. Der Wind zerrte ungestüm an seinem Mantel. Jacop fühlte
die ersten Regentropfen herunterklatschen und erzitterte.
    Sollte Gerhard doch die ganze Nacht da oben bleiben, wenn es ihm
gefiel. Es wurde Zeit, sich die Taschen vollzumachen und schleunigst zu
verschwinden.
    Im selben Moment erschien eine zweite Gestalt auf dem Gerüst. Jacop
war es, als komme sie geradewegs aus dem Nichts. Der Neuankömmling war weit
größer als Gerhard. Er manifestierte sich so dicht bei dem Dombaumeister, dass
ihre beiden Schatten einen Moment lang miteinander zu verschmelzen schienen.
    Dann ertönte ein schriller Schrei, und Jacop sah Gerhard durch die
Luft stürzen, vorbei an seinen Gerüsten, Säulen und Kapitellen, seinen Streben
und Piscinen, Gewänden und Sockeln. Er ruderte mit den Armen, und eine
schreckliche Sekunde lang sah es aus, als winke er Jacop in seinem Apfelbaum
zu. Dann gab es ein dumpfes, trockenes Geräusch, als der Körper aufprallte, wie
von einer Riesenfaust gepackt noch einmal hochfuhr und auf dem Rücken liegen
blieb.
    Jacop starrte auf den reglosen Meister. Er konnte den Sturz unmöglich
überlebt haben. Hastig begann er, sich zurückzuschieben, aber er kam keinen
Meter weit. Es gab ein reißendes Geräusch, als der Ast unter seinem Gewicht
nachgab. Wie auf einem Besen reitend, fuhr er auf dem morschen Holz nach unten
und landete geräuschvoll in einem Chaos aus Blättern und splitternder Rinde.
Strampelnd versuchte er, sich freizumachen aus dem Gewirr, und schnappte
verzweifelt nach Luft.
    Gott und alle Heiligen! Er war auf die Dombaustelle gestürzt.
    Immer noch keuchend kam er auf die Beine. Der Sturz hatte ihm den
Hut vom Kopf gerissen. Er stülpte sich das unförmige Ding wieder über und sah
sich wild nach allen Seiten um.
    Weg, sagte eine Stimme in seinem
Kopf. Weg, solange noch Zeit ist. Es war die gleiche Stimme, die ihn am Morgen
auf dem Markt gewarnt hatte.
    Weg hier!
    Sein Blick wanderte zu Gerhard. Der verkrümmte Körper lag keine
fünfzig Schritte von ihm entfernt. Hatte er sich getäuscht, oder war ein
Stöhnen von dort herübergedrungen?
    Er sah genauer hin.
    Gerhard ist tot, sagte die Stimme.
    Jacop ballte die Fäuste und fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach.
Noch war Zeit, sich unauffällig davonzumachen.
    Dann sah er die Bewegung. Nur ein bisschen hatte Gerhards Arm
gezuckt, aber es stand außer Zweifel, dass der Mann noch lebte.
    Eine Erinnerung wallte in Jacop hoch. Er zwang sie zurück.
    Verschwinde, Fuchs!
    Â»Hirnloses Rindvieh, wirst du denn niemals klug?«, flüsterte Jacop.
In langen Sätzen hastete er zum Chor hinüber, während ihm der heftiger werdende
Regen in die Augen schlug, und fiel neben dem Körper auf die Knie.
    Gerhard starrte mit glasigen Augen zum Himmel. Wasser lief ihm übers
Gesicht und durch das schüttere Haar. Seine pelzbesetzte Kappe lag neben ihm.
Er sah überhaupt nicht aus wie jemand, der einen Pakt geschlossen hatte. Es war
ein sanftes Gesicht mit vornehmen Zügen. Oder besser, war es gewesen. Jetzt
stand der Schock des nahen Todes darin.
    Die Brust des Dombaumeisters hob sich krampfartig. Seine Lippen
zitterten. Jacop strich ihm das nasse Haar aus der Stirn und beugte sich über
ihn. Gerhard schien sich seiner Anwesenheit bewusst zu werden. Unendlich mühsam
drehte er den Kopf und sah Jacop an. Wieder bewegten sich seine Lippen.
    Hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher