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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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zum Rande zu füllen. Ein immer klareres intellektuelles Glücksgefühl ergriff ihn, gleichzeitig mit einem vagen Bewußtsein des geheimnisvollen Vorgangs, durch den sein Geist sich für den nächsten Ansturm bereitete. Dann und wann, während er sich zu der einsamen Freundin neigte und dem Ruderschlag lauschte, der das aus den unendlichen Lagunen aufsteigende Schweigen durchmaß, sah er, wie in einem Blitz, das Bild der vielköpfigen Menge, die sich in dem tiefen Saal zusammendrängte; und ein flüchtiger Schauder beschleunigte die Schläge seines Herzens.
    »Es ist recht sonderbar, Perdita« – begann er wieder, seine Augen über die ferne, farblose Wasserfläche gleiten lassend, wo bei der niedrigen Flut der Meerschlamm schwärzlich zu schimmern begann, – »wie leicht der Zufall unsere Phantasie unterstützt, dem Zusammenströmen gewisser Erscheinungen bei einem uns vorschwebenden Ziel einen geheimnisvollen Charakter zu verleihen. Ich begreife nicht, warum die heutigen Dichter so voller Unwillen gegen die Vulgarität unserer gegenwärtigen Zeit sind und bedauern, zu früh oder zu spät geboren zu sein. Ich denke, daß jeder Mann von Intellekt, heute wie immer, seine eigene schöne Fabel im Leben schaffen kann. Man muß in das wilde Gewühl des Lebens mit demselben phantastischen Geist blicken, mit dem den Schülern Lionardos von ihrem Meister geraten wurde, die Flecke auf den Wänden, die Asche im Feuer, den Straßenkot und andere ähnliche Sachen zu betrachten, um darin ›Wunderbare Ersinnungen‹ und ›unendliche Dinge‹ zu finden. In derselben Weise, fügte Lionardo hinzu, werdet Ihr in dem Ton der Glocken jedes beliebige Wort und jeden Vokal hören. Dieser Meister wußte wohl, daß der Zufall – wie schon der Schwamm des Apelles beweist – immer Freund des genialen Künstlers ist. Für mich zum Beispiel sind die Leichtigkeit und die Anmut, mit der der Zufall die harmonische Entwicklung meiner Erfindung unterstützt, eine beständige Quelle des Erstaunens. Glauben Sie nicht, daß der finstere Hades seine Gemahlin die sieben Kerne essen ließ, um mir den Stoff zu einem Meisterwerk zu liefern?«
    Er brach in sein jugendlich-frisches Lachen aus, daß die angeborene Lebensfreude, die ihm im Grunde eigen war, so deutlich offenbarte.
    »Sehen Sie selbst, Perdita« – fuhr er lachend fort – »sehen Sie selbst, ob ich die Wahrheit sage. An einem der ersten Oktobertage des vergangenen Jahres war ich bei Donna Andriana Duodo in Burano eingeladen. Den Vormittag verbrachten wir in dem Spitzen-Park, am Nachmittag besuchten wir Torcello. Da ich damals schon angefangen hatte, mich mit dem Mythus der Persephone zu tragen, und das Werk schon im geheimen in mir Gestalt gewann, so hatte ich das Gefühl, auf stygischen Wassern zu schwimmen und in das ›jenseitige‹ Land zu gleiten. Nie habe ich reinere und süßere Todesfreuden empfunden, und dieses Gefühl verlieh mir eine Leichtigkeit, daß ich über die mit Asphodelos bewachsenen Wiesengründe hätte wandeln können, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es war eine graue, feuchte und weiche Luft. Die Kanäle schlängelten sich zwischen den mit farblosen Gräsern bedeckten Sandbänken hindurch. (Sie kennen Torcello vielleicht bei Sonnenschein.) Aber inzwischen sprach, disputierte, deklamierte irgend jemand in dem Nachen des Charon! Ein klingendes Lob weckte mich. Mit einer Anspielung auf mich bedauerte Francesco de Lizo, daß ein vornehmer Künstler von so köstlicher Sinnlichkeit – das waren seine Worte – gezwungen sei, abseits zu leben, fern von der stumpfsinnigen und feindlichen Menge, und die Feste ›der Töne, der Farben und der Formen‹ im Palaste seines einsamen Traumes zu feiern. Und mit lyrischem Schwung erinnerte er an das glänzende gefeierte Leben der venetianischen Künstler, an die Zustimmung des Volks, die sie wie ein Wirbelwind zu den Gipfeln des Ruhmes emportrug, an die Schönheit, die Kraft und die Freude, die sie um sich her vervielfältigten, und die sich in zahllosen Bildern an den gewölbten Decken und an den hohen Wänden widerspiegelten. Da sagte Donna Andriana: ›Nun wohl, ich verspreche feierlich, daß Stelio Effrena sein Triumphfest in Venedig haben soll.‹ Die Dogaressa hatte gesprochen. In diesem Augenblick sah ich auf dem niedrigen, grünlich schimmernden Ufer, wie eine Halluzination, einen früchtebeladenen Granatbaum die endlose Eintönigkeit unterbrechen. Donna Orsetta Contarini, die neben mir saß, stieß einen Jubelschrei aus
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