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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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waren.
    Der Ruderer, der dem Helden lieb gewesen war, kam herunter, um sie zu rufen. Die Augen in seinem männlichen, treuen Gesicht waren von Tränen gerötet. Stelio Effrena ging voran; die andern folgten ihm. Oben angekommen, traten sie in ein niedriges, schwach erhelltes Gemach, in dem ein schwerer Duft von Essenzen und Blumen herrschte. Sie warteten einige Augenblicke. Dann öffnete sich die andere Tür. Einer nach dem andern traten sie in das anstoßende Zimmer. Einer nach dem andern erbleichten sie.
    Die Leiche lag hier in den gläsernen Sarg eingeschlossen; und daneben, zu seinen Füßen, stand die Frau mit dem Gesicht von Schnee. Der zweite Sarg, aus poliertem Metall, stand offen auf dem Fußboden.
    Die sechs Träger stellten sich um die Bahre, auf ein Zeichen wartend. Das Schweigen war grabestief, und sie zuckten nicht mit den Wimpern, aber ein leidenschaftlicher Schmerz durchwühlte wie ein Sturmwind ihre Seele und erschütterte sie bis in die tiefsten Wurzeln ihres Seins.
    Ihre Augen waren unverwandt auf den Auserwählten des Lebens und des Todes gerichtet. Ein unbeschreibliches Lächeln lag über dem Gesicht des dahingestreckten Helden: unendlich und ferne, wie ein Regenbogen auf Gletschern, wie das Leuchten des Meeres, wie der Hof um Mond und Sterne. Die Augen konnten es nicht ertragen; aber die Herzen glaubten, voll religiösen Staunens und religiösen Schreckens, die Offenbarung eines göttlichen Geheimnisses zu empfangen.
    Die Frau mit dem Gesicht von Schnee versuchte eine schwache Bewegung zu machen, in ihrer Stellung starr wie ein Steinbild verharrend.
    Da schritten die sechs Gefährten auf die Bahre zu; sie streckten die Arme aus und stählten ihre Kraft. Stelio hatte seinen Platz am Kopfende, Daniele am Fußende, wie damals. Auf den gedämpften Befehl des Führers hoben sie gleichzeitig die Last auf. Alle spürten sie in den Augen ein blendendes Flimmern, als ob plötzlich ein Sonnenstrahl das Kristall durchbrochen hätte. Baldassare Stampa brach in Schluchzen aus. Ein und derselbe Krampf preßte alle Kehlen zusammen. Der Sarg schwankte; dann senkte er sich; die metallene Hülle umschloß ihn wie ein Panzer.
    Vernichtet blieben die sechs Gefährten um den Sarg herum stehen. Sie zauderten, den Deckel zu schließen, gebannt von diesem unbeschreiblichen Lächeln. Da hörte Stelio Effrena ein leises Rauschen und hob die Augen: er sah das Gesicht aus Schnee über die Leiche gebeugt, eine übermenschliche Verkörperung der Liebe und des Schmerzes. Der Augenblick galt eine Ewigkeit. Die Frau verschwand.
    Nachdem der Deckel geschlossen war, hoben sie die doppelt schwere Last wieder auf. Langsam trugen sie ihn aus dem Zimmer hinaus, die Treppe hinunter. Von einem erhabenen Schmerze entrückt, sahen sie ihre brüderlichen Gesichter sich in dem Metall des Sarges widerspiegeln.
    Die Trauerbarke wartete vor dem Portal. Über den Schrein wurde das Bahrtuch gebreitet. Entblößten Hauptes warteten die sechs Gefährten auf die Familie. Eng aneinandergeschmiegt kam sie herunter. Die Witwe war dicht verschleiert; aber der Lichtglanz ihres Angesichtes blieb für alle Ewigkeit im Gedächtnis der Zeugen.
    Der Zug war kurz. Zuerst kam die Totenbarke; dann folgte die Witwe mit ihren Lieben; zuletzt das jugendliche Fähnlein. Der Himmel über der großen Wasser- und Steinstraße war düster umwölkt. Das tiefe Schweigen war würdig dessen, der zum ewigen Heile der Menschheit die Kräfte des Weltalls in unendlichen Gesang gewandelt hatte.
    Ein Taubenschwarm, der flatternd und rauschend von den Marmorstatuen der Scalzi aufstieg, flog über die Bahre fort auf die andere Seite des Kanals und besetzte die grüne Kuppel von San Simeone.
    Am Landungsplatze wartete schweigend eine Schar Andächtiger. Die großen Kränze dufteten in der düstergrauen Luft. Man hörte das Wasser unter den gebogenen Schiffsschnäbeln anschlagen.
    Die sechs Gefährten hoben die Bahre von der Barke und trugen sie auf ihren Schultern in den Wagen, der auf der Eisenbahn bereit stand. Dle Andächtigen traten herzu und legten ihre Kränze auf dem Bahrtuch nieder. Niemand sprach.
    Dann kamen die beiden Arbeiter mit ihren Lorbeerzweigen vom Gianicolo.
    Es waren prächtige, kraftvolle Gestalten; unter den schönsten und stärksten ausgewählt, sahen sie aus, als wären sie nach dem Vorbild des antiken Römervolkes gemeißelt. Sie waren ernst und ruhig, und aus ihren blutig geäderten Augen leuchtete die wilde Freiheit des alten Rom. Ihre feurigen
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