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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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über seinem wachsamen Haupte, die Spitze des einen Flügels berührend, lief in einem doppelten Stundenglas der schweigsame Sand der Zeit. Im Hintergründe sah man das Meer mit seinen Buchten, seinen Häfen und seinen Leuchttürmen ruhig und unüberwindlich daliegen, über das hin, während die Sonne im Strahlenkranze eines Negenbogens unterging, die nächtliche Fledermaus flog, auf deren Flügel das Wort »Melancholie« geschrieben stand. Und jene Türme und jene Häfen und jene Städte: der geduldgekrönte Genius ohne Schlaf hatte sie erbaut. Er hatte den Stein für die Türme behauen, er hatte den Tannenbaum für die Schiffe gefällt, er hatte das Eisen für jeden Kampf gehärtet. Er selbst hatte die Zeit unter das Triebwerk gezwungen, das sie mißt. Er hatte sich niedergesetzt, nicht um zu ruhen, sondern um über neue Arbeit zu sinnen, und er sah fest ins Leben mit seinen mächtigen Augen, aus denen eine freie Seele leuchtete. Aus allen Formen rund um ihn stieg Schweigen auf; mit einer Ausnahme. Einzig die Stimme des krachenden Feuers im Ofen war vernehmbar, unter dem Schmelztiegel, wo aus der sublimierten Materie sich eine neue Kraft entwickeln sollte, um das Böse Zu besiegen oder um ein unbekanntes Gesetz zu entdecken.
    Und der große Menschengeist mit den Adlerfittichen, an dessen Seite an stählerner Kette die Schlüssel herunterhängen, die da öffnen und die da schließen, antwortete also denen, die ihn fragten: »Die Sonne geht unter. Das Licht, das am Himmel geboren wird, stirbt am Himmel; und der eine Tag weiß nichts vom Lichte des anderen Tages. Aber die Nacht ist die Einheit,und ihr Schatten liegt über allen Gesichtern und ihr Dunkel über allen Augen, außer über dem Gesichte und über den Augen dessen, der sein Feuer entzündet hält, um seine Kraft zu erleuchten. Ich weiß, daß der Lebendige wie der Tote ist, der Wache wie der Schlafende, der Jüngling wie der Greis, denn die Umwandlung des einen ergibt den andern; und jede Umwandlung hat Schmerz und Freude gleichermaßen zu Gefährten. Ich weiß, daß die Harmonie des Weltalls aus Widersprüchen entstanden ist, wie bei der Leier, wie beim Bogen. Ich weiß, daß ich bin und daß ich nicht bin; und daß der Weg in die Höhe wie in die Tiefe derselbe ist. Ich kenne die Düfte der Verwesung und die zahllosen Keime der Verderbnis, die mit der menschlichen Natur verbunden sind. Dennoch fahre ich, trotz meines Wissens, fort, meine offenkundigen und meine geheimen Werke zu erfüllen. Einige davon sehe ich untergehen, mährend ich selbst noch dauere; andere sehe ich, die in Schönheit und verschont von jeglichem Elend, ewig dauern zu wollen scheinen, nicht mehr mein, wenn schon aus meinen tiefsten Leiden geboren. Ich sehe vor dem Feuer sich alle Dinge wandeln, wie vor dem Gold alle Güter. Ein einziges ist unverrückbar: mein Mut. Ich setzte mich, nur um mich wieder zu erheben.«
    Der junge Mann legte seinen Arm um den Leib der Freundin. Und so schritten sie zum Fenster, ohne zu sprechen.
    Sie sahen den fernen Horizont, die Bäume, Kuppeln und Türme, die äußere Lagune, über die sich die Dämmerung lagerte, und die Euganeischen Hügel, die nächtlich blau und ruhig dalagen, wie die im Abendfrieden zusammengefalteten Flügel der Erde.
    Sie wendeten sich einer zum andern; und sie sahen einander tief in die Augen.
    Dann küßten sie sich, wie um elnen stummen Vertrag zu besiegeln.
     
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    Die Welt schien verarmt.
    Stelio Effrena bat Richard Wagners Witwe, daß sie den beiden jungen Italienern, die an einem Novemberabend den ohnmächtigen Heroen vom Schiff ans Ufer getragen hatten, und vier von ihren Freunden die hohe Ehre gewähren möchte, den Sarg vom Sterbezimmer auf die Barke und von der Barke in den Waggon tragen zu dürfen. Ihre Bitte wurde ihnen gewährt.
    Es war am l6. Februar um ein Uhr nachmittags. Stelio Effrena, Daniele Gláuro, Francesco die Lizo, Baldassare Stampa, Fabio Molza und Antimo della Bella warteten im Vorraum des Palastes. Der letztere war eigens von Rom gekommen und hatte zwei beim Bau des Apollotheaters beschäftigte Arbeiter mitgebracht, die bei der Leichenfeier die auf dem Gianicolo gepflückten Lorbeerzweige tragen sollten.
    Sie warteten ohne zu sprechen und ohne sich anzusehen, jeder von dem Klopfen seines eigenen Herzens schmerzlich benommen. Man hotte nichts als ein leises plätschern auf den Stufen vor dem großen Portal, auf dessen an den Pfosten angebrachten Kandelabern die zwei Worte:
Domus Pacis
eingemeißelt
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