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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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will, daß Cassandras Maske nicht aus unedlem Material sei ... Und ich will hauptsächlich die Möglichkeit haben, deinen Wunsch zu befriedigen: daß die ersten drei Tage das Volk freien Eintritt in das Theater habe, und späterhin beständig einen Tag in jeder Woche. Dieser Glaube erleichtert mir den Abschied von dir. Die Zeit fliegt. Es ist notwendig, daß, wenn die Stunde kommt, ein jeder auf seinem Posten steht, und zwar mit allen seinen Kräften. Ich werde nicht fehlen. Ich hoffe, du sollst mit deiner Freundin zufrieden sein. Ich gehe an die Arbeit; und diesmal fällt es mir sicher etwas schwerer als sonst wohl. Aber du, aber du, mein armer Junge, welche Last hast du zu tragen! Welchen Kraftaufwand verlangen wir von dir! Welch große Tat erwarten wir von dir! Ach, du weißt es ja ...«
    Sie hatte tapfer begonnen, in einem Ton, der bisweilen beinahe heiter klang, in dem Wunsche, als das zu erscheinen, was sie vor allem sein mußte: als das gute und sichere Werkzeug im Dienst einer genialen Macht, als die zuverlässige und bereitwillige Gefährtin. Aber irgendeine Woge der zurückgedrängten Bewegung brach sich Bahn, stieg ihr in die Kehle und ging in ihre Stimme über. Die Pausen wurden länger, und ihre zitternden Hände irrten zwischen den Büchern und Reliquien umher.
    »Ach, möchte alles stets deiner Arbeit günstig sein! Das allein ist von Wichtigkeit; alles andere ist nichts. Seien wir mutig!«
    Sie warf die Stirn mit den beiden wilden Flügeln zurück und reichte dem Freunde beide Hände. Bleich und ernst drückte er sie ihr. In ihren lieben Augen, die wie quellendes Wasser waren, sah er dasselbe Aufleuchten von Schönheit, das ihn eines Abends in ihrem Zimmer geblendet hatte, als die brennenden Scheite knisterten und die beiden großen Melodien, sich entwickelnd, ineinander flossen.
    »Ich liebe dich, und ich glaube an dich« – sagte er. – »Ich werde dir getreu bleiben, und du wirst mir getreu bleiben. Aus uns wird etwas geboren werden, das stärker ist als das Leben.« Sie sagte:
    »Eine tiefe Melancholie.«
    Vor ihr, auf ihrem Tisch lagen ihre Lieblingsbücher mit den am Rande umgebogenen Seiten, mit Randbemerkungen, hie und da ein Blatt, eine Blume, ein Grashalm zwischen zwei Seiten: Erinnerungszeichen an Schmerzen, die hier Trost oder Vergessenheit gesucht und gefunden hatten. Kleine, ihr lieb und unentbehrlich gewordene Gegenstände lagen vor ihr, seltsame, verschiedenartige Dinge, fast alle wertlos: ein Puppenfuß, ein silbernes
ex-voto-Herz
, ein Kompaß aus Elfenbein, eine Uhr ohne Zifferblatt, ein eisernes Laternchen, ein einzelner Ohrring, ein Feuerstein, ein Schlüssel, ein Petschaft, andere Kleinigkeiten: aber alle durch eine pietätvolle Erinnerung geweiht, vom Finger der Liebe oder des Todes berührt, alles Reliquien, die zu einer einsamen Seele sprachen und ihr von Hingebung und von Grausamkeit, von Krieg und von Waffenstillstand, von Hoffnung und von Niedergeschlagenheit erzählten. Bilder lagen vor ihr, die die Gedanken beflügeln und zum Nachdenken stimmen, Gestalten, denen die Künstler ein geheimes Bekenntnis anvertraut hatten, Zeichen voller Ränke, in die sie ein Rätsel eingeschlossen hatten, klare Linien, die wie der Anblick eines weiten Horizontes Frieden gewähren, geheimnisvolle Allegorien, hinter denen irgendeine Wahrheit verschleiert lag, die sterbliche Augen so wenig vertragen konnten wie das Licht der Sonne.
    »Sieh her« – sagte sie zum Freunde, auf einen alten Kupferstich deutend. – »Du kennst ihn gut.«
    Sie kannten ihn beide gut; und doch beugten sich beide gemeinsam darüber, um ihn zu betrachten, und er schien ihnen neu, wie Musik, die jedem Fragenden immer wieder eine neue Antwort gibt. Er war von Albrecht Dürers Händen.
    Der große Genius des Menschengeistes mit den Adlerfittichen, der Genius ohne Schlaf, saß auf nacktem Stein, mit Geduld gekrönt, den Ellenbogen aufs Knie gestützt, die Wange an die Faust gelehnt, auf dem anderen Knie ein Buch, in der anderen Hand einen Zirkel haltend. Zu seinen Füßen lag schlangenhaft zusammengekrümmt das treue Windspiel, der Hund, der in der Frühdämmerung der Zeiten zuerst in Gesellschaft des Menschen jagte. An seiner Seite, auf den Einschnitt eines Mühlsteins, wie ein Vögelchen, fast hingekauert, schlief ein trauriges Kind, das ein Täfelchen und einen Griffel hielt, mit denen es das erste Wort seiner Wissenschaft niederschreiben sollte. Er war rundum von den Handwerksgeräten menschlichen Wissens umgeben;
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