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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Spitzen der fernen Kette, die aufflammten, als wären sie eben aus dem Urfeuer hervorgegangen. Der Anblick dieser einsamen und ewigen Große löste in ihnen beiden eine Empfindung geheimnisvollen, unerbittlichen Verhängnisses und fast unklaren Schreckens, die sie weder besiegen noch sich deuten konnten. Venedig wurde verdunkelt von dieser Masse rotglühenden Porphyrgesteins: es schwamm auf dem Wasser, ganz eingehüllt in violetten Dunst, aus dem die von Menschenhand gemachten marmornen Türme herausragten als Hüter der ehernen Glocken, die das Zeichen zum gewohnten Gebete geben. Aber alle Menschenwerke und -gebete, aber die alte vom Übermaße des Lebens müde gewordene Stadt, die zerbröckelten Marmorstatuen und die abgenützten Bronzen, aber all diese von der Last der Vergangenheit und des Verfalls niedergedrückten Dinge verschwanden neben der gewaltigen, feurigglühenden Alpenkette, die mit ihren tausend unentrinnbaren Schroffen den Himmel zerriß, eine gigantische, einsame Stadt, vielleicht in sehnsüchtiger Erwartung eines jungen Volkes von Titanen.
    Nach langem Stillschweigen fragte Stelio Effrena plötzlich die Frau:
    »Und du?«
    Sie antwortete nicht.
    Die Glocken von San Marco gaben das Zeichen zum englischen Gruße; und das machtvolle Dröhnen verbrettete sich in langen Wellen über die nun blutrote Lagune, die sie im Banne des Schattens und Todes hinter sich gelassen halten. Von San Giorgio Maggiore, von San Giorgio dei Greci, von San Giorgio degli Schiavoni, von San Giovanni in Bragora, von San Moisé, von der Salute, vom Redentore und weiter, weiter, vom ganzen Reiche des Evangelisten, von den entferntesten Türmen der Madonna dell Orto, von San Giobbe, von Sant Andrea antworteten die ehernen Stimmen, vereinigten sich zu einem gewaltigen Chore, wölbten über der stummen Verschmelzung von Stein und Wasser eine einzige riesengroße Kuppel von unsichtbarem Erz, deren Schwingungen mit dem Flimmern der ersten Sterne in Zusammenhang zu stehen schienen.
    Beide schauderten, als die Gondel in die Feuchtigkeit des dunkeln kleinen Kanals einbog, unter der Brücke, die die Insel San Michele behütet, durchgleltend und die schwarzen Pfähle streifend, die längs der vermoderten Mauern faulten. Von den nahen Glockentürmen, von San Lazzaro, von San Canciano, von San Giovanni e Paolo, von Santa Maria dei Miracoli, von Santa Maria del Pianto antworteten andere Stimmen,und das Dröhnen über ihren Köpfen war so laut, daß sie es in den Haarwurzeln wie ein Erzittern ihres eigenen Fleisches zu verspüren wähnten.
    »Daniele, bist du es?«
    Stelio glaubte an der Schwelle seines Hauses, auf der Fondamenta Sanudo die Gestalt von Daniele Gláuro zu erkennen.
    »Ach, Stelio, ich habe auf dich gewartet!« – rief in das Getöse der Glocken hinein die schmerzerfüllte Stimme. – »Richard Wagner ist tot!«
     
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    Die Welt schien verarmt.
    Die heimatlose Frau waffnete sich mit ihrem ganzen Mut und bereitete sich auf die Wanderschaft vor. Von dem Helden, der auf der Bahre lag, kam dem edel empfindenden Herzen ein erhabener Sporn. Sie verstand ihn und wußte ihn in Taten und in Gedanken des Lebens umzusetzen.
    Während sie ihre Lieblingsbücher, die ihr vertrauten kleinen Gegenstände, von denen sie sich nie trennte, die Bilder, denen für sie eine tröstende oder Hoffnungsspendende Kraft innewohnte, ordnete, kam unverhofft ihr Freund dazu.
    »Was tust du?« – fragte er sie.
    »Ich bereite mich zur Abreise vor.«
    Sie sah sein Gesicht sich verändern, aber sie blieb standhaft.
    »Wohin gehst du?«
    »Weit fort. Über den Atlantischen Ozean.«
    Er erbleichte ein wenig. Aber sofort stieg ihm ein Zweifel auf; er nahm an, sie sage ihm nicht die Wahrheit, sie wolle ihn nur prüfen; oder ihr Entschluß stünde noch nicht fest und sie wollte gebeten sein, zu bleiben. Die unerwartete Täuschung am Strande von Murano hatte in seinem Herzen ihre Spur zurückgelassen.
    »Du hast dich also so ganz plötzlich entschlossen?«
    Sie war einfach, ruhig und sicher.
    »Nicht ganz plötzlich« – erwiderte sie. – »Meine Muße hat schon zu lange gedauert, und meine Familie lastet ganz auf mir. Bis zur Eröffnung des Apollotheaters und bis zur Vollendung
des Sieges des Menschen
gehe ich,um mich von den Barbaren zu verabschieden. Ich will für dein schönes Unternehmen arbeiten. Um die Schätze von Mykenä wiederherzustellen, braucht man viel Gold! Und alles um dein Werk herum muß den Anschein ungewöhnlicher Pracht gewähren. Ich
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