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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Autoren: Liza Marklund
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TAG 0
    Dienstag, 22. November
    Ich hatte keine Angst. Die Straßensperre sah aus wie alle anderen, die wir passiert hatten: Ölfässer auf beiden Seiten der Piste (ein Frevel, so etwas Straße zu nennen), quer darüber ein notdürftig von Ästen befreiter Baumstamm und daneben einige Männer mit verdreckten Maschinengewehren.
    Kein Grund zur Beunruhigung also. Trotzdem drückte Catherine ihr Bein fest an meins. Das Gefühl strömte durch Muskeln und Nervenbahnen bis in meinen Schwanz, aber ich verfolgte es nicht weiter, sondern warf ihr nur schnell einen Seitenblick zu und lächelte sie vielversprechend an.
    Sie war interessiert, wartete nur auf meinen nächsten Zug.
    Ali, unser Fahrer, ließ das Seitenfenster runter und reichte unsere Passierscheine mit der beglaubigten Sicherheitsstufe ­hinaus. Ich saß direkt hinter ihm. Der Wagen war für den Verkehr im Commonwealth gebaut und hatte Rechtssteuerung. Ein heißer Wind wirbelte Staub herein, trocken und rau. Ich betrachtete die Landschaft: niedrige Dornenbüsche, struppige Akazien. Die Erde war verbrannt, der Himmel endlos. Ein Stück weiter vor uns war auf der rechten Seite ein schmutziger Lastwagen zu erkennen, vollbeladen mit leeren Flaschen, alten Kartons und ­einem Tierkadaver. Der andere Landcruiser hielt links neben uns, und die deutsche Staatssekretärin winkte durchs Fenster herüber. Keiner von uns machte sich die Mühe zu reagieren.
    Warum wurde eine Staatssekretärin auf eine solche Reise geschickt? Diese Frage stellten wir uns alle.
    Ich sah auf die Uhr. 13.23. Wir hatten ein wenig Verspätung, aber nicht nennenswert. Der rumänische Delegierte hatte jede Menge Fotos geschossen, und Catherine hatte bereits eine Art Briefing für die Konferenz abgeschickt. Ich konnte mir schon denken, warum. Sie hatte keine Lust, den Abend heute mit Schreibarbeiten zu verbringen. Sie wollte das offizielle Essen ausfallen lassen und mit mir allein sein. Sie hatte mich noch nicht gefragt, aber ich spürte es.
    Jetzt lehnte sie sich an mich, doch ich beschloss, sie noch ein bisschen zappeln zu lassen.
    »Thomas, was geht hier vor?«, flüsterte sie in schönstem BBC -Englisch.
    Unser Fahrer hatte die Autotür geöffnet und war ausgestiegen. Männer mit Maschinengewehren umringten den Wagen. Einer öffnete die Beifahrertür und sagte etwas in lautem Kommandoton zu dem Dolmetscher. Der schmächtige Mann hob die Hände über den Kopf und stieg ebenfalls aus; ich hörte, wie einer der Bodyguards auf dem Sitz hinter uns seine Waffe entsicherte. Plötzlich sah ich Metall aufblitzen. In diesem Augenblick fand ich die Situation zum ersten Mal unangenehm.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich und versuchte, gelassen zu klingen. »Ali regelt das schon.«
    Auf der Beifahrerseite wurde jetzt auch die hintere Tür geöffnet. Der französische Delegierte, Margurie, der direkt an der Tür saß, stieg demonstrativ seufzend aus. Trockene Hitze drang herein und vernichtete den letzten Rest der klimatisierten Luftfeuchtigkeit im Wageninneren, der rote Staub legte sich wie ein dünnes Flies auf die Lederbezüge.
    »Worum geht es?«, fragte der Franzose mit nasaler Stimme. Er klang ehrlich entrüstet.
    Ein hochgewachsener Mann mit gerader Nase und hohen Wan­genknochen baute sich vor meiner Tür auf und starrte mich an. Sein schwarzes Gesicht kam sehr nah. Das eine Auge war rotgeädert, als ob es erst kürzlich einen Schlag abbekommen hätte. Er hob sein Maschinengewehr und klopfte mit dem Lauf ans Fenster. Hinter ihm flimmerte die Luft vor Hitze, der Himmel erschien weiß und löchrig.
    Die Angst schnürte mir den Hals zu.
    »Was sollen wir tun?«, flüsterte Catherine. »Was wollen diese Männer?«
    Annikas Bild schoss mir durch den Kopf, ihre großen Augen und ihr regengleiches Haar.
    »Macht demonstrieren«, sagte ich. »Mach dir keine Sorgen. Tu, was sie sagen, dann wird es schon gutgehen.«
    Der Lange öffnete die Tür auf meiner Seite des Wagens.

TAG 1
    Mittwoch, 23. November
    Der Körper der Frau lag zugeschneit auf dem Waldboden, knapp zwanzig Meter von der Kindertagesstätte entfernt. Ein Stiefel ragte aus dem Schnee, wie ein heruntergewehter Ast oder wie ein Teil einer rausgerissenen Wurzel. Genau an dieser Stelle sah die Skispur auf dem Weg unsicher aus, die Abdrücke der Ski­stöcke waren unregelmäßig. Ansonsten war der Schnee unberührt.
    Wäre der Stiefel nicht gewesen, hätte der Körper auch ein Stein sein können, ein Ameisenhaufen oder ein Sack mit Herbstlaub. Er
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