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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Autoren: Liza Marklund
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wölbte sich wie eine weiße Robbe aus dem Unterholz, schimmernd und weich. Schneekristalle, die am Stiefelschaft hängengeblieben waren, glitzerten hier und da im Licht der Dämmerung. Der Schuh war braun, der Absatz spitz.
    »Sie dürfen hier nicht hin.«
    Annika Bengtzon kümmerte sich nicht um den Polizisten, der hinter ihr angeschnauft kam. Sie hatte sich über einen Pfad hinter dem Selmedalsvägen bis zum Fundort durchgeschlagen, vorbei an einem verlassenen Fußballplatz, einen Hügel hinauf und durch den kleinen Wald. Ihre Stiefel waren voller Schnee und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie in den Füßen jegliches Gefühl verloren hätte.
    »Ich kann keine Absperrung entdecken«, sagte sie, ohne die Leiche aus den Augen zu lassen.
    »Dies ist ein Tatort«, sagte der Polizist. Es klang, als würde er seiner Stimme bewusst mehr Tiefe geben. »Ich muss Sie bitten, sich zu entfernen. Sofort.«
    Annika machte noch zwei Bilder mit der Handykamera und schaute zu dem Polizisten auf. Er hatte nicht einmal richtigen Bartwuchs.
    »Ich bin beeindruckt«, sagte sie. »Die Leiche ist noch nicht ausgegraben und Sie haben schon eine vorläufige Todesursache. Wie ist die Frau denn gestorben?«
    Die Augen des Polizisten wurden schmal.
    »Woher wissen Sie, dass es sich um eine Frau handelt?«
    Annika sah wieder zur Toten hinüber.
    »An und für sich stehen ja auch Transen auf hochhackige Schuhe, aber die tragen selten Größe … Was meinen Sie? Sechsunddreißig? Siebenunddreißig?«
    Sie ließ ihr Handy in die Umhängetasche fallen, wo es in einem Meer aus Stiften, Kinderhandschuhen, Berechtigungsausweisen, USB -Sticks und Notizblöcken unterging. Ein Kollege des Beamten kam mit einer Rolle Absperrband in der Hand keuchend den Hügel herauf.
    »Ist sie vermisst gemeldet?«
    »Das ist doch zum Kotzen«, sagte der andere Polizist.
    »Was denn?«, fragte Annika.
    »Dass die von der Einsatzzentrale die Presse informieren, bevor sie eine Streife losschicken. Hauen Sie ab.«
    Annika schulterte ihre Tasche, kehrte der Leiche den Rücken zu und ging wieder zum Fußballplatz hinunter.
    Seit ein paar Monaten arbeiteten Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr in ganz Schweden mit dem neuen digitalen Funksys­tem RAKEL . Es war abhörsicher, und sämtliche zivilen Belau­scher des Polizeifunks waren dadurch arbeitslos geworden. Das Personal der Bezirks-Einsatzzentralen hatte den Job und die Gehaltsaufbesserung, die bei den Medien für Hinweise auf Gewalt und Elend raussprang, begeistert übernommen.
    Am Waldrand blieb Annika stehen und ließ den Blick über die vorstädtische Umgebung schweifen.
    Die graubraunen neunstöckigen Häuser weiter unten waren in Frost und Nebel gehüllt. Die schwarzen Äste der Bäume ­spiegelten sich in den blanken Fenstern. Sicher waren die Häuser in den 70ern, ganz zu Anfang der staatlichen Großoffensive im ­sozialen Wohnungsbau, gebaut worden – die Fassaden ver­mittelten trotz allem eine Art Wertigkeit, als hätte man damals noch den Ehrgeiz gehabt, menschenwürdigen Wohnraum zu schaffen.
    Sie hatte kein Gefühl mehr in den Zehen. Es war schon später Nachmittag. Zwischen den Betonklötzen schien der Wind zu pfeifen.
    Axelsberg. Ein Wohngebiet ohne äußere Begrenzung, der Name einer zugigen U-Bahnstation.
    »Es gibt eine Leiche hinter einer Kita in Axelsberg, kann noch nicht lange da liegen.«
    Der Anruf war von der Telefonzentrale der Zeitung gekommen, als sie gerade auf dem Rückweg von IKEA in Kungens Kurva war. Daraufhin pflügte sie quer über alle vier Fahrspuren durch den Schneematsch, fuhr bei Mälarhojden von der Autobahn ab und erreichte den Fundort sogar eine halbe Minute vor dem ersten Streifenwagen.
    Sie schickte zwei der Handyfotos an den Newsdesk, das eine zeigte den Fundort, das andere war eine Nahaufnahme des Schuhs.
    Eine Leiche bedeutete nicht zwangsläufig, dass ein Verbrechen geschehen war. Die Polizei ermittelte immer bei unklaren Todes­fällen, aber oft stellte sich heraus, dass eine natürliche Ursache vorlag, ein Unfall oder Selbstmord.
    Etwas sagte ihr, dass dies hier nicht so war.
    Diese Frau war nicht joggen gewesen und hatte dann einen Herzinfarkt bekommen. Nicht in solchen Schuhen. Und selbst wenn, wäre sie nicht durch das Gebüsch neben dem Weg ge­joggt. Es war kaum wahrscheinlich, dass sie gestolpert und gefallen war, mehrere Meter weit und direkt ins ­Dickicht.
    Die Leiche war zugeschneit, aber der Informant hatte recht gehabt: Sie konnte noch nicht lange
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