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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Autoren: Liza Marklund
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vorbei nach oben. Zwar war Tore Brandt gefeuert worden, als herauskam, dass er nachts schwarzgebrannten Schnaps an die Redakteure verkaufte, aber das alte Unbehagen, das sie immer überfallen hatte, wenn sie an dem langen Tresen vorbeimusste, steckte ihr noch in den Knochen, und sie entschied sich fast immer für den Weg durch den Keller.
    Es dauerte ein paar Minuten, bis der Aufzug da war. Auf dem Weg nach oben zog sich wie jedes Mal, wenn sie in die Redaktion kam, ihr Magen in einer Art erwartungsvoller Spannung zusammen, bereit für alle Eventualitäten.
    Sie holte tief Luft, dann betrat sie den fleckigen Teppichboden.
    Die Bürolandschaft war während ihrer drei Jahre als Korrespondentin in Washington mehrfach umgebaut und zeitgemäß an die neuen Ansprüche von Teamarbeit und Flexibilität angepasst worden. In der Mitte schwebte der Newsdesk wie ein leuchtendes Raumschiff, um das herum waren wie zwei Halbmonde die Druck- und die Internetredaktion angeordnet, die mit dem Rücken zueinander sitzend auf ihre Computermoni­tore starrten. Berit Hamrin, ihre Lieblingskollegin, nannte sie »die Erdnussflips«. Die Leute vom Web- TV saßen nebenan, wo sich zuvor die Telefonzentrale befunden hatte. Über ihren Köp­fen schwebte ein Dutzend gigantischer Bildschirme, über die Nachrichtenseiten aus dem Web-Fernsehen, Videotext und ­Dokusoaps flimmerten. Das Marketing und die Anzeigenabteilung waren nun auch räumlich ein Teil der Redaktion. Die Wandschirme, die sie von den Tischen der Tagesreporter getrennt hatten, waren allesamt abgebaut worden. Trotzdem erfüllte sie immer dieselbe konzentrierte Ruhe, wenn sie dort saß.
    Ansonsten war alles beim Alten, nur ein bisschen beengter. Die zahlreichen Lampen verteilten noch immer dasselbe blau-flimmernde indirekte Licht. Die Tische quollen weiterhin über von Papier. Die Köpfe wurden noch immer konzentriert gesenkt. Zielstrebige Nervosität trieb die Wirklichkeit vor sich her, brach sie auf und erschuf sie neu.
    Die Jahre in Washington erschienen Annika wie eine Geschichte, die jemand erzählt oder die sie in einem Roman gelesen hatte; wie die Überbleibsel eines Traums. Das Leben war wieder auf null gestellt. Genau hier hatte sie vor dreizehn Jahren als Sommervertretung angefangen, war Hinweisen nachgegangen, als Springer und Handlanger der Nachrichtenbranche.
    Eine zähe Müdigkeit erfasste sie. Die Zeit drehte sich unablässig um ihre eigene Achse, Annika rannte noch immer den gleichen Frauenmorden hinterher wie in ihrem ersten Sommer, lediglich im Auftrag anderer Nachrichtenchefs. Sie war zurück und wohnte im selben Viertel wie früher, bloß in einer anderen Wohnung, die Wirklichkeit war davongelaufen und hatte sie zurückgelassen.
    »Hast du schon gegessen?«, fragte sie Berit Hamrin, die konzentriert auf ihrem Laptop schrieb.
    »Eine Scheibe Brot«, sagte Berit, ohne den Blick vom Bildschirm zu heben oder langsamer zu tippen.
    Annika holte ihren Rechner aus der Laptoptasche. Selbst die Bewegungen waren die gleichen: Stecker einstöpseln, Schirm auf­klappen, Rechner starten, ins Netzwerk einloggen. Berits Haar war grauer geworden, und sie trug eine andere Brille, ansonsten hätte die Welt um Annika herum dieselbe sein können wie in dem Jahr, als sie 24 geworden war. Damals war es heißer Sommer gewesen, und die tote junge Frau hatte hinter einem Grabstein auf einem Friedhof gelegen. Jetzt war es eiskalter Win­ter, und die Toten lagen hinter Kitas in einem Wäldchen. Oder auf Parkplätzen. Oder in einer Wohngegend oder oder oder …
    Sie runzelte die Stirn.
    »Du«, sagte sie zu Berit, »hat es im Herbst nicht mehrere Frauenmorde in Stockholm gegeben? Im Freien?«
    »Nicht mehr als sonst auch, glaube ich«, sagte Berit.
    Annika öffnete die Seite mediearkivet.se, ein kostenpflich­tiges Online-Archiv, in dem die meisten Medien Schwedens ihre veröffentlichten Artikel und Beiträge speicherten. Sie suchte nach »Frau ermordet Stockholm«, dann »ab August« und erhielt ­einige Treffer. Die Texte waren keine richtigen Artikel, eher Kurz­meldungen, vor allem aus der Morgenpresse.
    Ende August war in Fisksätra im Bezirk Nacka am Stockholmer Stadtrand eine 54-jährige Frau tot auf einem Parkplatz gefunden worden. In ihrem Rücken steckte ein Messer. Ihr Mann hatte früher bereits eine kurze Gefängnisstrafe verbüßt, weil er sie geschlagen und bedroht hatte. Offenbar hatte man ihn wegen Mordes angeklagt, später aber aus Mangel an Beweisen laufengelassen. Da der
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