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Shardik

Titel: Shardik
Autoren: Richard Adams
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Erster Teil • Ortelga
    1. Das Feuer
     
    Sogar in der trockenen Hitze des Spätsommers war es nie still in dem großen Wald. Den Boden entlang – weiche, nackte Erde, Zweige und gefallene Äste, modernde Blätter, so schwarz wie Asche – zog ein beständiger Strom von Geräuschen dahin. Wie ein Feuer mit murmelnden Flammen brennt, unterbrochen dann und wann vom Krachen explodierender Knoten in den Scheiten und dem Fallen und Nachsinken der Kohle, so vergingen die Stunden des Dämmerlichtes auf dem Waldboden unter Knistern, Prasseln, stöhnender und sterbender Brise, dem Trippeln von Nagern, Schlangen, Eidechsen und mitunter dem gedämpften Trotten eines größeren Tieres. Darüber bildete das grüne Halbdunkel der Schlingpflanzen und Äste ein anderes Reich, bewohnt von Affen und Faultieren, von jagenden Spinnen und zahllosen Vögeln – Geschöpfe, die ihr ganzes Leben hoch über dem Boden verbrachten. Hier waren die Geräusche lauter und schärfer – Geplapper, plötzliches Gackern und Schreie, hohles Klopfen, glockenartige Rufe und das Rauschen von aufgestörten Blättern und Zweigen. Noch höher, in den obersten Regionen, wo die Sonnenstrahlen auf die Oberfläche des Waldes fielen wie auf die Außenseite einer grünen Wolkenbank, trat an die Stelle rauher Düsternis ein stummes Licht, das war das Gebiet großer, durch das Gezweig huschender Schmetterlinge in einer Einsamkeit, wo kein Auge sie bewunderte, kein Ohr die zarten, von diesen herrlichen Flügeln erzeugten Geräusche vernahm.
    Die Geschöpfe des Waldbodens bewohnten – gleich den blinden grotesken Fischen in den Tiefen des Ozeans – ganz unbewußt die untersten Stufen einer Welt, die vom verschwommenen Dämmerlicht senkrecht emporragte bis zu schattenloser, blendender Helligkeit. Auf ihren heimlichen Wegen kriechend oder hastend, kamen sie selten weit fort und sahen nur wenig von Sonne und Mond. Ein dorniges Dickicht, ein Labyrinth von Erdlöchern zwischen Baumstämmen, ein mit Felsstücken und Steinen bedeckter Abhang – solche Stellen waren meist das einzige, was deren Bewohner von der Erde, wo sie lebten und starben, jemals kennenlernten. Sie wurden dort geboren, blieben eine Zeitlang am Leben und kannten schließlich jeden Zoll innerhalb ihrer engen Grenzen. Mitunter streiften manche ein wenig weiter fort – wenn es an Beute oder Futter mangelte oder, was seltener vorkam, infolge des Eindringens einer unbegreiflichen Macht aus Bereichen jenseits ihres alltäglichen Lebens.
    Die Luft zwischen den Bäumen schien sich kaum zu regen. Die Hitze hatte sie schwül gemacht, so daß die geflügelten Insekten sich sogar träge auf diejenigen Blätter setzten, unter denen Gottesanbeterin und Spinne lauerten, zu schläfrig, um zuzuschlagen. Am Fuß eines schrägen, roten Felsens kam ein Stachelschwein schnuppernd und wühlend heran. Es riß einen kleinen, aus Reisig gebauten Zufluchtsort auf, und ein mageres, rundohriges Geschöpfchen, nichts als Augen und knochige Glieder, flüchtete über die Steine davon. Das Stachelschwein kümmerte sich nicht um das Tierchen und wollte schon die zwischen dem Reisig umherkriechenden Käfer verzehren, da plötzlich hielt es inne, hob den Kopf und lauschte. Es regte sich nicht, während ein braunes, mungoartiges Geschöpf schnell durch die Büsche brach und in seinem Loch verschwand. Aus einiger Entfernung kam der Lärm keifender Vögel.
    Gleich darauf war auch das Stachelschwein verschwunden. Es hatte nicht nur die Angst der anderen Tiere in der Nähe gespürt, sondern auch etwas von deren Ursache – eine Störung, ein Vibrieren des Waldbodens. Etwas unvorstellbar Schweres bewegte sich in der Nähe, und diese Bewegung war wie ein Trommelschlag auf den Boden. Die Vibrationen wurden stärker, so daß sogar ein menschliches Ohr das unregelmäßige Geräusch einer schweren Bewegung im Halbdunkel gehört hätte. Durch die gefallenen Blätter rollte ein Stein bergab, ihm folgte ein Krachen im Unterholz. Dann begann sich oben auf dem Hang jenseits des roten Felsens die dichte Masse der Zweige und Ranken zu bewegen. Ein junger Baum neigte sich nach außen, splitterte und stürzte krachend der Länge nach zu Boden, wobei er auf seinen gebogenen Zweigen auf und nieder wippte, als hätte beim Fall nicht nur das Geräusch, sondern auch die Bewegung ein Echo in der Einsamkeit geweckt.
    In der Öffnung erschien, halb verborgen durch ein Gewirr von Ranken, Blättern und abgerissenen Blüten, eine Schreckensgestalt, noch
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