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Der Teratologe (German Edition)

Der Teratologe (German Edition)

Titel: Der Teratologe (German Edition)
Autoren: Wrath James White , Edward Lee
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Sharon war in der Lage, zu sehen und zu hören, und bis zu einem gewissen Grad arbeitete auch ihr Verstand einwandfrei. Aber sie konnte nicht sprechen, weil ihr Gott bei der Geburt keine Stimmbänder mit auf den Weg gegeben hatte. Kein Pieps kam aus ihrem Mund, und sie vermutete, dass die Männer, die hier arbeiteten, deshalb so gerne zu ihr hereinkamen, um gewisse Dinge mit ihr anzustellen. Es wäre keine gute Idee gewesen, jemandem – zum Beispiel dem Heimleiter – anzuvertrauen, dass sie regelmäßig in einer Einrichtung vergewaltigt wurde, die eigentlich existierte, um Menschen wie ihr zu helfen. Auf der anderen Seite kümmerte es sie auch nicht sonderlich. In Anbetracht ihres Zustandes durfte sie sich wohl keine größeren Abenteuer in ihrem Leben erhoffen.
    Sie ließen den Fernseher eingeschaltet, damit Sharon ihren Kopf ausstrecken konnte, um auf das widerliche Kissen zu sabbern und mit eingeschränkter Sicht Channel 9 zu verfolgen, den sie meist für sie aussuchten: Seifenopern und Talkshows. Es war ihr Los in dieser bizarren Form von Dahinvegetieren, im hochgestellten Bett zu liegen, von Schwestern mit süßem Brei gefüttert zu werden (Sharon besaß keine Zähne), Jerry Springer zu schauen und jede Nacht einzuschlafen, nachdem man sie nach allen Regeln der Kunst verwöhnt hatte.
    Bei den fehlenden Stimmbändern handelte es sich lediglich um ein Symptom der besonderen Form von Hyperostose, unter der sie litt. Ein seltenes genetisches Leiden, das der Volksmund laienhaft als Gelockte-Knochen-Syndrom umschrieb. In ihrer Kindheit hatte ein fehlerhaftes Schädelwachstum ihr Gehirn daran gehindert, zu normaler Größe anzuwachsen. Deshalb lag ihr IQ bei 70, einer Stufe leichter geistiger Behinderung. Ihr Schädel war seltsam krumm. Ihre langen Knochen wanden sich wie Spiralnudeln, die Rippen auf der rechten Seite des Körpers hatten sich nach innen gedreht, die Rippen auf der linken nach außen. Ihre Hüften waren gespreizt, wie ein Buch, das geöffnet vor einem lag.
    Warum tötet man sie nicht einfach?, hatte einer der Hausmeister einmal geflüstert, als er ihre Bettpfanne im Zimmer auswechselte. Wird nicht besser werden – diese Schweinerei? Verschlingt nur Steuergelder … Ja, jemand sollte sie einfach töten. Sharon war sich nicht ganz sicher, aber sie glaubte zu wissen, was töten bedeutete, und das wollte sie nicht wirklich. Sie dachte darüber nach, wie es wohl sein mochte, aber wenn sie es richtig verstand, würde sie dann nicht länger in der Lage sein, Jerry Springer zu sehen, und sie mochte Jerry Springer. Manchmal traten Menschen wie sie in der Show auf. Sie genoss es, solche Brüder und Schwestern im Geiste zu sehen. Besonders gefiel ihr das Mädchen ohne Arme und Beine, das sich auf den Pobacken fortbewegte. Es war sogar verheiratet! Das gab ihr trotz des grausamen Streichs, den die Natur ihr gespielt hatte, ein wenig Hoffnung.
    Vermutlich würde kein Mann große Lust verspüren, Sharon zu heiraten. Obwohl … Sie kamen schließlich auch jede Nacht einfach zu ihr herein und fickten sie, ohne sich an ihren vollgepinkelten Laken oder dem grauenhaften Mundgeruch zu stören.
    Pünktlich um 22 Uhr schaltete die Nachtschwester immer den Fernseher und das Licht aus. Sie hielt die Bezüge hoch und schnüffelte daran. »Hätte Louie dir heute nicht dein wöchentliches Bad mit dem Schwamm verpassen sollen?«, fragte sie dann neckend und wusste ganz genau, dass Sharon nicht antworten konnte.
    »Gott, du riechst nicht besonders angenehm, Schätzchen. Ist aber nicht mein Problem.« Mit diesen Worten ließ sie im Dunkeln zurück.
    Sharon kannte die Routine, die sich anschloss. Etwa eine halbe Stunde später öffnete sich die Tür und Louie kam ins Zimmer. Es war seine Aufgabe, mehrmals in der Nacht nach jedem Patienten zu sehen, zu überprüfen, ob dieser noch lebte. Die meisten Patienten in diesem staatlichen Heim waren furchtbar alt – das hatte Sharon mal gehört. Tatsächlich war sie mit 25 die jüngste Bewohnerin in diesem Trakt.
    Hin und wieder kamen Ärzte von Forschungseinrichtungen und medizinischen Fakultäten vorbei, um sie zu untersuchen. Und jedes Mal unterhielten sie sich darüber, wie bemerkenswert es war, dass Sharon so lange überlebt hatte. Manchmal flüsterte ihr auch Louie etwas zu, während er zwischen ihren verdrehten Beinen lag: »Ich hoffe, du wirst so schnell nicht sterben, Süße. Ich würde meine Ladung gerne noch viele Jahre in dich hineinspritzen!«
    Louie schaltete meist nur die
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