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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Sinnenwelt! Es war notwenig, daß ich diesen ersten Keim schonend behandelte, damit er heute in mir seine vervielfältigte Kraft ausbreiten konnte. Dieser Vinci, der mit seinem Blick jede Tiefe ergründet hat, hat zweifellos eine solche Wahrheit mit seiner Fabel von dem Hirsekorn ausdrücken wollen, das zur Ameise sagt: ›Wenn du so freundlich sein willst und meine Keimlust mich genießen lassen, so will ich mich dir hundertfältig wiedergeben. ‹ Bewundern Sie diesen anmutigen Griff der Finger, die das Eisen zersplitterten! Ah, er ist immer der unvergleichliche Meister. Wie kann ich ihn vergessen, um mich den Venetianern hinzugeben?«
    Plötzlich verließ ihn die heitere Selbstironie, die in seinen letzten Worten lag, und er schien ganz in seine Gedanken zu versinken. Mit geneigtem Haupt, in der ganzen Haltung etwas krampfhaftes, das der äußersten Anspannung seines Geistes entsprach, suchte er jetzt eine der geheimen Analogien zu entdecken, die die mannigfaltigen und verschiedenartigen Bilder mit einander verbinden sollte, die ihm wie in kurzen Zwischenpausen schnell aufeinander folgende Blitze erschienen. Er versuchte jetzt einige der Hauptlinien festzustellen, innerhalb deren die neue Gestaltung sich entwickeln sollte. So groß war seine Erregung, daß man die Muskeln seines Gesichts unter der Haut zittern sah; und das Weib, dessen Augen auf ihm ruhten, empfand den Widerhall dieses Schmerzes, wie sie ihn empfunden haben würde, wenn er vor ihren Augen mit übermäßiger Anstrengung hätte versuchen wollen, die Sehne eines Riesenbogens zu spannen.
    »Es ist schon spät, die Stunde naht« – sagte er, von einem plötzlichen Schauder geschüttelt, wie von Angst gefoltert, denn von neuem war ihm das furchtbare Ungeheuer mit den zahllosen Menschengesichtern erschienen, das den gewaltigen Raum des akustischen Saales füllte.– »Ich muß beizeiten im Hotel sein, um mich umzukleiden.«
    Und bei dem Neuerwachen seiner jugendlichen Eitelkeit dachte er an die Augen der unbekannten Frauen, die ihn heute abend zum ersten Male sehen würden.
    »Nach dem Hotel Daniele« – befahl die Foscarina dem Ruderer.
    Und während das gezahnte Eisen des Buges sich auf dem Wasser mit langsamem Schwanken, das den Anschein von etwas lebendig Tierischem hatte, wandte, empfanden beide, sie und Stelio, eine verschiedenartige, aber große Bangigkeit bei dem Gedanken, das unendliche Schweigen der Lagune, die schon unter der Herrschaft des Schattens und des Todes stand, hinter sich zu lassen, um sich zu der prächtigen und verführerischen Stadt zu wenden, in deren Kanälen sich wie in den Adern eines wollüstigen Weibes das nächtliche Fieber zu entzünden begann.
    Sie schwiegen eine Weile, verzehrt von dem Aufruhr, der in ihrem Innern tobte und sie bis an die Wurzeln ihres Seins erschütterte, als gälte es, sie auszureißen. Aus den Gärten stiegen die Düfte und schwammen wie Öle auf dem Wasser, das hie und da in seinen Furchen einen Glanz wie alte Bronze zeigte. In der Luft lag es wie eine Vision von alter Pracht, die die Augen ebenso empfanden, wie sie beim Betrachten der durch die Jahrhunderte düster gewordenen Paläste in der Harmonie des unverwüstlichen Marmors den verblichenen Goldton empfunden hatten. Es schien, als ob an diesem zauberhaften Abend sich der Hauch und der Widerschein des fernen Orients erneute, den mit geblähten Segeln und gewölbten Flanken einst die mit schwerer Beute beladene Galeere herüberbrachte. Und alle diese Dinge erhöhten die Lebenskraft in ihm, der das ganze Weltall an sich ziehen wollte, um nicht mehr zu sterben, und in ihr, die ihre verdüsterte Seele auf den Scheiterhaufen werfen wollte, um rein zu sterben. Und beider Herzen klopften in steigender Bangigkeit, sie lauschten auf die Flucht der Zeit, als eilte das Wasser, auf dem sie dahinglitten, in eine furchtbare Klepsydra.
    Beide fuhren zusammen bei dem plötzlichen Krachen einer Salve, die die Flagge grüßte, die auf dem Heck eines bei den Gärten vor Anker liegenden Kriegsschiffes eingezogen wurde. Sie sahen von der Höhe des schwarzen Molo die dreifarbige Fahne sinken und sich zusammenfalten wie ein Heldentraum, der sich verflüchtigt. Für einige Sekunden erschien das Schweigen noch tiefer, während die Gondel im düsteren Schatten hinglitt, die Flanke des gepanzerten Kolosses streifend.

    Perdita, kennen Sie« – fragte unerwartet Stelio Effrena « »jene Donatella Arvale, die in der Ariadne singen wird?«
    Seine Stimme, die in dem
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