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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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andere über den innen angehäuften Edelsteinen halb geöffnet.
    Mit leiser Stimme sprach die Frau die Worte, die Hades in dem erhabenen Drama an Persephone richtet, während die Tochter des Demeter von der verhängnisvollen Frucht genießt:
»Wenn du die Herbstzeitlose in der Blüte wirst pflücken auf den weichen Wiesen der Oberwelt, zur Seite deiner Mutter in dem blauen Peplon – und wenn die schönen Okeaniden dann eines Tages mit dir spielen werden, mit dir auf weichem Rasen –, dann wird in deinen unsterblichen Augen Unmut sich plötzlich zeigen, Unmut, des Ursach' Licht:
dein Herz wird schlagen, o Persephone, die große Seele, des tiefen Traumes eingedenk, Persephone, beraubt des unterirdschen Reichs. Du wirst die Mutter dann im blauen Peplon abseits im Schweigen Tränen weinen sehen.
Und du wirst zu ihr sprechen: – O Mutter, mich rufet in des Reiches Tiefe
Hades; mich rufet, fern vom Tag zu herrschen über Schatten,
Hades; mich ruft allein in nimmersatter Liebe Hades...«
     
    »Ah, Perdita, wie Sie verstehen, Ihre Stimme zu beschatten!« – unterbrach sie der Dichter, der das Gefühl hatte, als ob eine melodische Nacht die Silben seiner Verse verdunkelte. – »Wie Sie verstehen, nächtlich zu werden vor Einbruch der Nacht! Erinnern Sie sich der Szene, in der Persephone hinabsteigen will in die Unterwelt, während der Chor der Okeaniden wehklagt? Ihr Gesicht gleicht dem Ihren, wenn es sich verdüstert. Regungslos in ihrem safranfarbenen Peplon neigt sie das gekrönte Haupt nach hinten, und es ist, als ob durch ihre blutlos gewordenen Adern die Nacht rinne und sich unter dem Kinn, in den Augenhöhlen, um die Nasenflügel verdichte und sie in eine düstere tragische Maske verwandle. Es ist Ihre Maske, Perdita. Die Erinnerung an Sie half mir die göttliche Gestalt heraufbeschwören, als ich an meinem Mysterium arbeitete. Das Bändchen von safranfarbenem Samt, das Sie fast immer um den Hals tragen, brachte mich auf die richtige Farbe für Persephones Peplon. Und eines Abends, als ich mich in Ihrem Hause von Ihnen verabschiedete, auf der Schwelle eines Zimmers, in dem die Lampen noch nicht angezündet waren (an einem stürmischen Abend des verflossenen Herbstes, wenn Sie sich erinnern), gelang es Ihnen durch eine einzige Bewegung, in meiner Seele das Geschöpf lebendig zu machen, das bis dahin noch verborgen ruhte; und dann verschwanden Sie, ohne die plötzliche Geburt zu ahnen, die Sie herbeigeführt, im inneren Dunkel Ihrer Unterwelt. Ach, ich war sicher, Ihr Schluchzen zu hören, und dennoch durchströmte mich eine unbezähmbare Freude. Ich habe Ihnen das nie erzählt, nicht wahr? Ich hätte Ihnen mein Werk widmen müssen, wie einer idealen Lucina.«
    Sie litt unter dem Blick des Belebers; sie litt unter der Maske, die er auf ihrem Gesicht bewunderte, und unter der Freude, die sie in seinem Innern unablässig sprudeln fühlte wie einen unversiegbaren Quell. Sie litt unter ihrem ganzen Selbst; unter der Veränderlichkeit ihrer eigenen Züge; unter der mimischen Fähigkeit ihrer Gesichtsmuskeln und unter jener unfreiwilligen Kunst, die ihren Gesten die Bedeutung verlieh, und unter jenem ausdrucksvollen Schatten, den sie so oft auf der Bühne in einer Minute bangen Schweigens über ihr Gesicht breiten konnte wie einen wunderbaren Schleier des Schmerzes; und unter dem Schatten, der jetzt die Furchen füllte, die die Zeit in ihr nicht mehr junges Fleisch gegraben hatte. Sie litt grausam durch diese Hand, die sie anbetete. Durch diese Hand, die so zart und so vornehm war und ihr dennoch so weh tun konnte mit einem Geschenk oder einer Liebkosung.
    »Glauben Sie nicht, Perdita« – sagte nach einer Pause Stelio, indem er sich dem lichten und gewundenen Gang seiner Gedanken hingab, der wie die Windungen des Flusses, die Inseln im Tal bilden, sie umgürten und ernähren, in seinem Geist einsame, dunkle Flecken ließ, von denen er wohl wußte, daß er dort in gelegener Stunde neue Schätze entdecken würde – »glauben Sie nicht an die gute Vorbedeutung der Zeichen? Ich spreche nicht von der Wissenschaft der Sterndeutung, noch von horoskopischen Zeichen. Ich meine, daß gleich denen, die glauben, sich mit den magischen Kräften eines Sternbildes in Verbindung bringen zu können, wir eine ideale Wechselbeziehung herstellen können zwischen unserer Seele und irgendeinem Gegenstand, der im Erdreich wurzelt, in der Weise, daß dieser, indem er allmählich unsere Wesenheit in sich aufsaugt und sich in unserer
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