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126 - Hinter der Grenze

126 - Hinter der Grenze

Titel: 126 - Hinter der Grenze
Autoren: Stephanie Seidel
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Vier Monate zuvor
    Der Kampf war verloren, die Armee geschlagen, der König tot.
    Alles, für das sie gekämpft hatten, war mit einem einzigen Schuss vernichtet worden. Dabei waren sie so weit gekommen.
    Sie hatten die westlichen und nördlichen Stämme geeint, waren gen Süden gezogen und hatten Salisbury eingenommen. Wenn Rulfan König Arfaar nicht erschossen hätte, wäre der Traum des geeinten Britanniens Wahrheit geworden. Doch so hatten sich die Krieger zerstreut, waren in ihre Dörfer und in ihr altes Leben aus Stammesfehden, Blutrache und Mord zurückgekehrt.
    Jed zuckte zusammen, als kalte Elektroden seine Schläfen berührten. Er hatte nichts anderes als den Kampf um Britannien gekannt. Durch die fehlende Erinnerung beschränkte sich sein Dasein auf die letzten paar Monate und auf seine Aufgabe als Berater des jugendlichen Königs. Nicht nur das Land lag in Trümmern, sondern auch sein Leben.
    Das wollte ihm die Community jetzt zurückgeben. Irgendwo hinter den Elektroden an seinen Schläfen stand eine Maschine, mit der seine blockierten Erinnerungen befreit werden sollten.
    Mehr als dreißig Jahre warteten dort. Und doch hätte Jed wohl auf diese Jahrzehnte verzichtet, wenn Rulfan und Sir Gabriel ihm eine Wahl gelassen hätten. Nach seinem Kampf gegen die Community schienen sie zu glauben, dass nur seine Erinnerungen ihn wieder zu einem vertrauenswürdigen Mitglied ihrer Gesellschaft machen würden.
    Stimmt das?, fragte er sich. Stimmt das?, fragte er sich.
    Werden meine Erinnerungen mich so verändern, dass ich richtig und falsch nicht mehr unterscheiden kann? Oder werden diese wenigen Monate meines Lebens mir einfach egal sein?
    Jed atmete tief durch. Er hatte einiges über den Jed Stuart gehört, der er früher gewesen war. Einen Besessenen hatte man ihn genannt, einen Verfluchten, manchmal sogar einen Wahnsinnigen. Niemand wusste, was ihn zu diesem Menschen gemacht hatte, und er bezweifelte, dass jemand gewagt hatte, ihn danach zu fragen.
    Zwei Assistenten traten an den Behandlungstisch, auf dem er lag. Sie sagten kein Wort, während sie weitere Elektroden an seiner Stirn und seinem Hals befestigten. Eine Lampe wurde auf sein Gesicht gerichtet. Das Licht war so hell, dass er den Kopf zur Seite drehte.
    »Bewegen Sie sich nicht«, sagte Doktor Sloan hinter ihm.
    Der Wissenschaftler klang nervös.
    »Tut mir Leid.« Jed drehte den Kopf zurück. Das Licht stach in seine Augen und ließ sie tränen.
    Sloan war nur eine Silhouette am Rande seines Gesichtsfelds.
    »Es wird nicht lange dauern«, hörte Jed ihn sagen. Er hatte eine unangenehm heisere Stimme und räusperte sich ständig.
    »Zehn, höchstens fünfzehn Sekunden bei voller Aktivierung sollten die Blockade aufheben. Dann werden Sie wieder Sie selbst sein.«
    Ich selbst? Das Licht wurde heller. Jed schloss die Augen.
    Jemand hielt seinen Kopf fest, als er zu zittern begann.
    Ein Mensch muss doch aus mehr bestehen als aus der Summe seiner Erinnerungen, dachte er verzweifelt.
    Obwohl er überzeugt war, nicht laut gesprochen zu haben, antwortete ihm Sloans Stimme.
    »Woraus sonst sollte er denn bestehen?«
    Majela Ncombe.
    Sie stand im Zentrum seiner Erinnerungen. Majela, der Zug und die Menschen, die durch Jeds – war es Arroganz?
    Dummheit? Naivität? – ums Leben gekommen waren. Mit ihren letzten Worten hatte Majela ihn gebeten zu überleben, aber das hatte er nicht getan. Stattdessen war er in sich zusammengefallen, hatte einem wahnsinnigen Selbsthass nachgegeben, dessen Sog er jetzt wieder spürte.
    Dieses Gefühl würde immer ein Teil von ihm bleiben, das ahnte Jed, als die Erinnerungen wie Schläge auf ihn einprasselten.
    Aber ich werde ihm nie wieder erlauben, mich zu beherrschen, dachte er. Lange genug hatte der Schmerz wie eine offene Wunde in seinem Geist gelegen; es war Zeit, dass er vernarbte. Verheilen würde er nie, ebenso wenig wie seine Hand, die in dieser Nacht durchbohrt worden war. Er hatte sie nie behandeln lassen, hatte geglaubt, sich selbst damit bestrafen zu müssen.
    Auch das würde er ändern.
    Doch als das Summen der Maschinen verstummte und die Assistenten die Elektroden von seinem Kopf entfernten, wusste Jed, dass er trotz dieser Erkenntnisse nicht der gleiche Mensch war, der wenige Minuten zuvor den Behandlungsraum betreten hatte. Seine Erinnerungen hatten ihm etwas genommen, etwas, das er noch nicht einmal mehr benennen konnte und dessen Spuren verwehten wie ein längst aufgegebener Traum.
    »Alles in Ordnung?«, fragte
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