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Das Prachtstück

Das Prachtstück

Titel: Das Prachtstück
Autoren: Brigitte Riebe
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    Die Wohnung im obersten Stockwerk war hell, groß – und für ihre augenblickliche Verfassung entschieden zu leer. Linda Becker ging langsam von Raum zu Raum, scheinbar nachdenklich und voll ruhiger Gelassenheit, obwohl sie in Wirklichkeit vor Ungeduld am liebsten losgebrüllt hätte. Sie war es leid: die endlosen Besichtigungen, die doch zu nichts führten, die schlaflosen Nächte im Hotel, diese ganze verdammte Ungewissheit der vergangenen Tage! Sollte so vielleicht das neue Leben beginnen, dem sie so lange entgegengefiebert hatte?
    Nebenan hörte sie Feli vergnügt quietschen und musste trotz allem lächeln. Die Kleine hatte soeben ein neues Malbuch nebst dicken Wachskreiden geschenkt bekommen und war hoffentlich nicht nur für die nächsten Minuten beschäftigt. Schließlich öffnete Linda die Balkontür und zündete sich im Freien eine Zigarette an, um die Nerven zu beruhigen. Sie mochte, was sie sah und spürte. Der Tag verabschiedete sich lau; Sommer lag in der Luft, und es war zum Glück noch immer hell. Über die Giebel zogen ein paar Wolkenfetzen. Unten im hübsch begrünten Hof über Mutti-Bänken und kindgerechtem Sandkasten, zu dem unter Garantie nur die Sprösslinge der Hausbewohner Zutritt hatten, veranstalteten zwei freche Schwalben ein waghalsiges Wettfliegen.
    Nach zwei hastigen Zügen hatte sie bereits genug. Die Hände flatterten. Ihr Magen fühlte sich an wie nach einer Achterbahnfahrt. Lieber Himmel – sie war aufregt, daran ließ sich nun einmal beim besten Willen nichts ändern.
    Der smarte Typ vom Maklerbüro Immocommerz räusperte sich dezent. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Frau Becker! Eine Wohnung ist schließlich kein T-Shirt, das man im Vorübergehen vom Wühltisch mitnimmt und einfach so überstreift. Sie muss passen wie ein maßgeschneidertes Kleidungsstück, um auf Dauer wirklich Freude zu bereiten. Wenn Sie wollen, warte ich solange draußen auf Sie. Natürlich können Sie mich jederzeit fragen. Alles .« Ein kurzes, schelmisches Grinsen. Er hatte blanke blaue Augen wie kostbares Porzellan und sah aus, als ob er auch privat gern lachen würde. »Sofern meine bescheidenen Kenntnisse ausreichen.«
    Linda warf ihm einen dankbaren Blick zu. Nur nicht zu früh freuen! Das hatte sie in den letzten Tagen zur Genüge gelernt. Allerdings ließ sich die Sache hier gut an. Sehr gut sogar, wenn sie sich auf ihr Gefühl verließ. »Und die Miete war noch mal …«
    Â»â€¦ achtzehnhundert warm.«
    Das ging. Gerade noch zwar und im allerobersten Grenzbereich, aber immerhin. Sie mussten sich eben anderweitig einschränken. Oder es zumindest versuchen. Warum sollten Feli und sie nicht lernen, was andere auch konnten? – Lächerlich dieser Satz. Schließlich kann sie 1800 für Miete aufbringen!
    Er hatte ihr Zögern bemerkt. »Kein Pappenstiel, ich weiß, aber durchaus im Rahmen für diese Lage. Wissen Sie, Haidhausen hat in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. Früher Kleinleuteviertel, heute begehrte Wohngegend. So schnell geht das manchmal.« Trotz aller Liebenswürdigkeit schien er sein Geschäft durchaus zu verstehen. Sein Tonfall hatte plötzlich etwas durch und durch Professionelles. »Und nur ein Katzensprung zur Innenstadt. Mit optimaler Verkehrsanbindung, versteht sich. Von der fantastischen Infrastruktur ganz zu schweigen.«
    Linda hatte auf einmal den jahrzehntelang trainierten Verkaufston ihrer Schwiegermutter Marga im Ohr und wurde unwillkürlich eine Spur reservierter. Ihr Lächeln erlosch.
    Seines auch. Ihr Gegenüber schien perfekt funktionierende Antennen zu besitzen.
    Â»Das reicht dann wohl fürs erste.« Jetzt klang er wieder so nett wie zu Anfang, vom Scheitel bis zur Sohle der frische Junge von nebenan, dem man einfach nichts übel nehmen kann. »Keine Eile, wie schon gesagt. Sie rufen mich einfach, wenn Sie soweit sind, ja?«
    Sein Gang war federnd, sein dunkles Haar im Nacken eine Spur zu lang. Wie früher bei Micha. Egal, was Marga und Hugo auch ständig daran zu mäkeln gehabt hatten.
    Ach, Micha!
    Kaum war der Makler draußen, holte sie als erstes das Foto im Silberrahmen aus ihrer Tasche, eines der wenigen ohne Lederkluft, das sie von Micha besaß, und stellte es auf den Boden. Ein Ritual, so oft vollzogen, dass es ihr mittlerweile bereits in Fleisch und Blut
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