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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition)
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Einbildungskraft zu großer Bedeutung entfaltet, uns fast als die Verkörperung unserer unbekannten Schicksale erscheint und fast eine geheimnisvolle Gestalt annimmt, die in gewissen Zeitverhältnissen unseres Lebens in die Erscheinung tritt. Das, Perdita, ist das Geheimnis, unserer ein wenig verdorrten Seele wieder einen Teil der ursprünglichen Frische zuzuführen. Ich weiß aus Erfahrung, welch wohltätigen Einfluß die innige Verbindung mit einem im Erdreich wurzelnden Gegenstand auf uns ausübt. Es ist notwendig, daß unsere Seele von Zeit zu Zeit der Hamadryade gleich wird, um die frische Lebenskraft des mitlebenden Baumes in sich kreisen zu fühlen. Sie haben schon verstanden, daß ich mit meinen Worten auf die Äußerung anspiele, die Sie vorher beim Vorübergleiten jener Barke taten. Sie haben mit dunkler Kürze diese Gedanken ausgedrückt, als Sie sagten: ›Sehen Sie Ihre Granatäpfel!‹ Für Sie und für alle, die mich lieben, können es nur meine sein. Für Sie und für diese andern ist der Gedanke meiner Person unauflöslich mit der Frucht verknüpft, die ich mir zum Sinnbild erkoren, und auf die ich mehr ideale, bedeutungsvolle Eigenschaften gehäuft habe, als ihr Inneres Kerne birgt. Wenn ich in jener Zeit gelebt hätte, in der die Menschen beim Ausgraben der griechischen Marmorgötter in der Erde auf die noch feuchten Wurzeln der antiken Sagen stießen, so hätte mich kein Künstler auf der Leinwand darstellen können ohne den Granatapfel in meiner Hand. Von diesem Symbol meine Person trennen, es wäre dem arglosen Künstler gewesen, als löse er einen lebendigen Teil von mir; denn seiner heidnischen Auffassung würde es erschienen sein, als sei die Frucht mit dem Menschenarm verwachsen, wie mit ihrem natürlichen Zweig; er hätte, wie gesagt, von meinem Wesen keine andere Anschauung gehabt, als er sie von Hyacinthos oder Narcissus oder Ciparissus haben mußte, die ihm bald als pflanzliche Erscheinungen, bald in Jünglingsgestalt vorschweben mußten. Aber es gibt auch in unserer Zeit manchen lebhaften und phantasiebegabten Geist, der den Sinn meiner Erfindung begreifen und seinen vollen Wert würdigen kann. Sie selbst, Perdita, ziehen Sie nicht in Ihrem Garten einen schönen Granatbaum, um mich in jedem Sommer blühen und Früchte tragen zu sehen? Einer Ihrer Briefe, beflügelt wie ein göttlicher Bote, schilderte mir die anmutige Feier, in der Sie den ›effrenischen‹ Strauch mit güldenen Ketten schmückten, an dem Tag, an dem das erste Exemplar der Persephone an Sie gelangte. So habe ich also für Sie und für jene, die mich lieben, einen alten Mythos erneuert, indem ich mich in idealer und symbolischer Weise in eine Form der ewigen Natur verwandle, so daß, wenn ich tot sein werde (und die Natur wolle mir vergönnen, daß ich mich ganz und gar in meinem Werke offenbare, bevor ich sterbe!), meine Schüler mich unter dem Zeichen des Granatapfels ehren werden; und in der spitzen Form des Blattes und in der flammenden Farbe der Blüte und in dem rubinartigen Fleisch der Frucht werden sie manche Eigenschaften meiner Kunst erkennen, und ihre Intellekte werden von diesem Blatt, von dieser Blüte und von dieser Frucht wie durch posthume Ermahnungen ihres Meisters in ihren Werken zu dieser Klarheit, zu dieser Flamme und zu diesem inneren Reichtum geführt werden. Jetzt, Perdita, entdecken Sie den tiefen Sinn. Ich selbst bin durch Wahlverwandtschaft dazu geführt, mich entsprechend dem herrlichen Genius der Pflanze zu entwickeln, in der ich so gerne mein Trachten nach einem reichen und glühenden Leben versinnbildliche. Mir scheint, daß dieses mein pflanzliches Abbild imstande ist, mich zu überzeugen, daß meine Kräfte sich immer naturgemäß entwickeln, um auf natürlichem Wege das Ziel zu erreichen, für das sie bestimmt sind. ›Natur hat mich dazu bestimmt‹, war das Lionardische Motto, das ich auf das erste Blatt meines ersten Buches setzte. Nun wohl, der blühende und fruchttragende Granatbaum wiederholt mir unaufhörlich dieses einfache Wort. Und wir gehorchen nur den Gesetzen, die eingeschrieben sind in unsere Wesenheit. Und deshalb bleiben wir, trotz aller Zersetzung, unversehrt in einer Einheitlichkeit und Fülle, die unsere Freude sind. Es ist kein Mißklang zwischen meiner Kunst und meinem Leben.«
    Er sprach voller Hingabe, fließend, fast, als sähe er den Geist der gespannt lauschenden Frau sich öffnen wie einen Kelch, um diesen Strom der Beredsamkeit in sich aufzunehmen und sich bis
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