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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen
Autoren: Michael Peinkofer
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Prolog
    Es war kein vorübergehender Zustand, in dem sich Meisterin Glennara befand. Es war das Leben selbst, die einzig wirkliche Art des Seins, so wie der Haiku der primae es beschrieb:
     
    Leichter als Federn,
    den Elementen trotzend,
    Himmel und Erde.
     
    Die Augen geschlossen, die Hand- und Fußflächen aneinandergelegt und den Gesetzen der Natur entrückt, fühlte Glennara sich frei und ungebunden … selbst an einem Ort wie diesem.
    Nicht ihre eigene Entscheidung hatte sie hierhergeführt, auf diesen Weltensplitter, der weit abseits der Zivilisation und jedes wärmenden Feuers lag, sondern die der Erhabenen Schwester, und Glennara glaubte fest genug an die äonenalten Prinzipien der Gilde, um sich ihrer Entscheidung ohne Widerspruch zu fügen. Auch wenn in diesen Tagen jedem, der sich auf den Außenwelten aufhielt, klar werden musste, dass die Dinge nicht mehr waren wie einst.
     
    Bewahren, was wert
    und was besteht seit Langem
    der Gilde Macht und Glanz.
     
    Anfangs waren die Veränderungen kaum zu bemerken gewesen, winzige Abweichungen vom Kreislauf der Geschichte, jede für sich genommen unbedeutend. Doch tief im Inneren hegte Glennara die Befürchtung, dass das große Ganze davon betroffen sein würde, das Gleichgewicht der Welten, vom eisigen Pol bis hinab zum Mahlstrom, der alles Wasser verschlang.
     
    Welten unzählig,
    schwebend wie im dunklen Traum,
    umgeben vom Nox.
     
    Der Gilde kam von jeher die Aufgabe zu, die Welten des Sanktuarions miteinander zu verbinden. Sie war das Blut in den Adern eines Körpers mit unzähligen Gliedern. Ohne die Gilde gab es keinen Fortschritt, keine Zivilisation. Sie hielt das Sanktuarion zusammen, schlug Brücken zwischen Welten, die ansonsten füreinander unerreichbar gewesen wären, ermöglichte Austausch und Handel und, wenn es die Lage gebot, auch feindliche Auseinandersetzung – und das allein aufgrund der geistigen Fähigkeiten, über die die Levitatinnen der Gilde verfügten und die sie weit über jedes andere sterbliche Wesen stellten.
     
    Nie sich zu beugen
    und niemals zu erliegen
    weltlicher Gewalt.
     
    Schon früh in der Geschichte hatten die Gildemeisterinnen ihre besondere Verantwortung erkannt und entsprechend gehandelt. Die primae , mutige Frauen, die über die Gabe der Levitation verfügten und nicht gewillt waren, sich zum Werkzeug machthungriger Weltenherren machen zu lassen, sagten sich von diesen los und schlossen ein Bündnis, das als der »Pakt« in die Weltengeschichte einging. Dies war die Geburtsstunde der Gilde von Ethera, die von diesem Augenblick an die Geschehnisse im Sanktuarion entscheidend mitbestimmte. Nicht durch Krieg oder Gewalt, wie die Weltenherren es taten, sondern durch die alleinige Kontrolle über das Element der Luft.
     
    Bedacht mit Gaben,
    welche niemand sonst besitzt,
    vom Schicksal bestimmt.
     
    Die kollektive Erinnerung, die Generationen zurückreichte und von großen Taten kündete, von Gildemeisterinnen, die die Geschicke der Welten maßgeblich beeinflusst hatten, strahlte etwas Beruhigendes aus und versprach Beständigkeit. Selbst in Zeiten wie diesen.
    Glennaras Meistergrad entsprach nur dem der dritten Stufe, und es stand ihr nicht zu, Entscheidungen der soror levitata infrage zu stellen. Dennoch ertappte sie sich dabei, dass sie immer wieder nach einem Grund dafür suchte, dass sie auf diese entlegene Welt versetzt worden war.
    Hatte sie sich etwas zuschulden kommen lassen? War dies der Grund, dass man ihr befohlen hatte, ein Handelsschiff in die Polregion zu geleiten und bis auf Widerruf dort zu verbleiben? Nein. Sie musste darauf vertrauen, dass ihr Aufenthalt auf diesem barbarischen, von Eis und Schnee bedeckten Weltensplitter einer höheren Bestimmung diente. Sie musste Geduld bewahren und Trost aus der Meditation gewinnen, aus dem Zustand der Schwerelosigkeit, in den Glennara sich kraft ihres Willens zu flüchten vermochte, und in der beruhigenden Gewissheit der eigenen Vergangenheit.
    Glennara erinnerte sich gut daran, wie es gewesen war, als sie die Fähigkeit erstmals an sich entdeckt hatte. Mehr als vierzig Zyklen lag dies zurück, dennoch konnte sie noch immer die Freude verspüren, die sie dabei empfunden hatte. Sie war aus dem Schlaf erwacht und hatte geglaubt, noch zu träumen. Erst allmählich war ihr aufgegangen, dass sie wach war und dass sie tatsächlich mehrere Ellen über ihrer Schlafstatt schwebte …
    Auch jetzt öffnete Glennara die Augen und blickte hinab auf den steinernen Boden
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