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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen
Autoren: Michael Peinkofer
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dessen hohe Decke von Säulen getragen wurde, grob und plump wie alles an diesem Ort. In einer Esse loderte Feuer, in dessen flackerndem Schein die Pfeiler lange Schatten warfen. Weitere Möbel gab es nicht, und es war niemand zu sehen. Im ersten Moment glaubte Glennara, der Diener hätte sich einen Scherz mit ihr erlaubt, und wollte sich wutentbrannt abwenden, als sie das Geräusch vernahm.
    Ein Rauschen wie von feinem Stoff.
    Instinktiv blickte sie nach oben – um verblüfft zurückzufahren, als sie die Ehrfurcht gebietende, von einem weiten Gewand umwallte Gestalt gewahrte, die dort schwebte, reglos und mit vor der Brust verschränkten Armen. Ihre Augen starrten in milchigem Weiß.
    »Ihr?«, fragte sie nur.
    »Seid Ihr überrascht?«
    »Durchaus. Ich hatte nicht erwartet, Euch so weit entfernt von …«
    »Ihr hattet vieles nicht erwartet, ist es nicht so? Auch Eure Versetzung an diesen Ort nicht.«
    »Nun«, entgegnete Glennara ausweichend, »ich habe mich bemüht, die Anweisungen der Erhabenen Schwester nach bestem Wissen auszuführen.«
    »Das habt Ihr«, bestätigte die schwebende Gestalt, »und mehr als das.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Ihr habt dazu beigetragen, die Geschichte zu verändern, Glennara, dafür gebührt Euch mein Respekt und mein Dank.«
    »Die Geschichte zu verändern?«, fragte die Gildemeisterin zweifelnd. »Ich fürchte, ich verstehe nicht. Wann soll ich die Dinge getan haben, von denen Ihr sprecht?«
    »Noch nicht«, gab die schwebende Gestalt zurück, »aber Ihr werdet sie tun, schon in wenigen Augenblicken.«
    Glennara begriff noch immer nicht, wovon die Rede war, aber sie gab sich alle Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. Es musste sich um einen Test handeln, um eine Prüfung ihrer mentalen Reife. Entsprechend konnte ihre nächste Antwort über ihre Zukunft innerhalb der Gilde entscheiden …
    »Was soll ich tun?« Sie neigte ergeben das Haupt, kaum anders als der Robbenmann zuvor.
    »Nichts«, lautete die seltsame Antwort. »Wartet ab. Schließt die Augen und vertraut darauf, dass Eure Bestimmung Euch leiten wird.«
    Glennara gehorchte.
    Sie wollte zeigen, dass sie würdig war, den nächsten Grad der Reife zu erlangen, dass sie bereit und willens war, zur Ordenswelt zurückzukehren und sich dort neuen Aufgaben zu stellen, dass sie in der Lage war …
    Ein leises Knurren unterbrach ihren Gedankengang.
    Die Gildemeisterin widerstand der Versuchung, die Augen zu öffnen. Auch dies mochte Teil der Prüfung sein. Stattdessen versuchte sie, sich zu konzentrieren und das innere Gleichgewicht zurückzuerlangen, das den Schwestern der Gilde als das höchste Ideal galt.
    Es gelang ihr nicht.
    Ein erneutes Knurren hinderte sie daran.
    Es war näher als zuvor und paarte sich mit dem ekelerregenden Gestank von Fäulnis und Verwesung.
    Die hässliche Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte, ließ die Gildemeisterin alle Beherrschung vergessen. Sie riss die Augen auf und sah, wer vor ihr stand.
    Einen Moment lang war sie wie erstarrt vor Entsetzen. Dann öffnete sich ihr Mund zu einem gellenden Schrei, der jedoch nie erklang. Denn die Klaue des Wolfs schnellte vor und zerfetzte ihre Kehle.

Erstes Buch
    CALIGO PRODITIONIS
 
     

 
    »Das Erste unter allen Gesetzen jedoch ist Folgendes: Die Herrschaft über das flüchtige Element soll auf alle Zeit jenen vorbehalten bleiben, die befähigt sind, kraft ihres Willens die Klüfte zwischen den Welten zu überbrücken – den Levitatinnen der Gilde.«
    Pakt der Gilde · Präambel

1. Kapitel
    Es war eine Prozession des Schweigens.
    Dreizehn Frauen in weiten Roben, die die steinernen Stufen hinabstiegen. Immer weiter drangen sie in das Gewölbe vor, das sich dem Inneren eines gigantischen Schneckenhauses gleich in die Tiefen Etheras erstreckte. Das Licht, das sie begleitete und die umgebende Schwärze doch nur unzureichend vertrieb, rührte von kleinen eisernen Schiffen her, in denen Kohlefeuer brannten; wie von unsichtbarer Hand geführt, schwebten sie neben den Frauen her, deren Augen von einem milchig anmutenden Schleier überzogen waren.
    Sie waren die numeratae , die Gezählten; die obersten und ranghöchsten Schwestern der Gilde und damit die legitimen Nachfolgerinnen jener glorreichen primae , die die Schwesternschaft einst begründet hatten. Vor vielen Generationen schon hatten sie sich königlichem Gebot widersetzt, auf dass kein weltlicher Herrscher, auf dass kein Mann jemals wieder Macht über sie gewänne. Doch hier, tief im Herzen der
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