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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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»Wer nannte Sie doch eines Tages den
Bilderreichen

    »Ah, die Bilder!« – rief der Dichter, ganz ergriffen von befruchtender Glut der Empfindungen. – »Wie man in Venedig nur Musik empfinden kann, so kann man nur Bilder denken. Von allen Seiten strömen sie uns zahllos und mannigfaltig zu, sie sind wirklicher und lebendiger als die Menschen, die uns in den engen Gassen mit dem Ellbogen streifen. Wir können uns zu ihnen neigen, um die Tiefe ihrer verfolgenden Blicke zu erforschen, wir können die Worte, die sie zu uns sprechen werden, aus dem Schwung ihrer beredten Lippen erraten. Einige sind tyrannisch gleich herrischen Liebhabern und halten uns lange im Joch ihrer Macht. Andere wieder erscheinen uns ganz in Schleier gehüllt, wie die Himmelsbräute, oder fest gewickelt, wie die Neugeborenen, und nur wer es versteht, die Hüllen zu zerreißen, kann sie zu vollkommenem Leben erheben. Heute morgen, beim Erwachen schon, war meine Seele ganz voll davon. Sie glich einem schönen mit Chrysaliden beladenen Baum.«
    Er hielt inne und lachte.
    »Wenn heute abend sich alle öffnen« – fügte er hinzu – »so bin ich gerettet. Bleiben sie geschlossen, dann bin ich verloren.«
    »Verloren?« – sagte die Foscarina, ihm mit Augen so voller Vertrauen ins Gesicht blickend, daß unermeßliche Dankbarkeit ihn erfüllte. – »Sie können sich nicht selbst verlieren, Stelio. Sie sind Ihrer selbst immer sicher. Ihr Schicksal tragen Sie in Ihren Händen. Ich glaube, daß Ihre Mutter niemals für Sie gezittert haben kann, nicht einmal in den schlimmsten Zeiten. Nicht wahr? Nur in Stolz erzittert Ihr Herz ...«
    »Ach, teure Freundin, wie liebe ich Sie, und wie dankbar bin ich Ihnen hierfür!« – gestand Stelio aufrichtig, ihre Hand ergreifend. – »Sie sind es, die meinen Stolz nährt und mir die Illusion gibt, als besäße ich schon alle jene Gaben, nach denen ich unablässig strebe. Zuweilen dünkt es mich, als hätten Sie die Macht, den Dingen, die meiner Seele entspringen, irgendeine göttliche Eigenschaft mitzuteilen, so daß sie meinen eigenen Augen fern und anbetungswert erscheinen. Sie erzeugen zuweilen in mir das religiöse Staunen jenes Bildhauers, der, nachdem er am Abend die Bildsäulen der Gotter, noch warm von seiner Arbeit, und fast möchte ich sagen, noch mit dem Abdruck seines plastischen Daumens, in den Tempel gebracht hatte, sie am Morgen darauf auf ihren Piedestalen erblickte, eingehüllt in eine Wolke von Wohlgerüchen und aus allen Poren des spröden Stoffes, in dem seine vergänglichen Hände sie geformt, ihre Gottheit ausströmend. Wenn Sie in meine Seele dringen, ist es nur, um solche Begeisterung zu entfachen. Und so kommt es, daß jedesmal, wenn mir ein gütiges Geschick gestattet, an Ihrer Seite zu weilen, Sie mir unentbehrlich scheinen zu meinem Leben. Und dennoch kann ich in den allzu langen Trennungszeiten leben, und Sie können leben, obwohl wir beide wissen, welcher Glanz von der vollkommenen Vereinigung unserer beiden Leben ausgehen könnte. Und trotzdem, obwohl ich weiß, was Sie mir geben und mehr noch, was Sie mir geben könnten, betrachte ich Sie als für mich verloren, und in dem Namen, mit dem ich Sie so gerne nenne, will ich diese meine bewußte Empfindung ausdrücken und mein unendliches Bedauern ...«
    Er unterbrach sich, da er das Beben der Hand fühlte, die er noch in der seinen hielt.
    »Wenn ich Sie Perdita nenne« – fuhr er nach einer Pause mit leiserer Stimme fort – »so scheint es mir, als müssen Sie sehen, wie mein Wunsch Ihnen naht, den tödlichen Stahl in der keuchenden Flanke. Und gelingt es ihm dennoch, Sie zu fassen, so ergreift der Tod schon mit eisigem Erstarren die Spitzen seiner beutegierigen Finger.«
    Sie empfand einen ihr wohlbekannten Schmerz bei diesen schönen und vollendeten Worten, die von den Lippen des Freundes mit einer Natürlichkeit flossen, die bewies, daß sie aufrichtig waren. Sie hatte auch vorher schon eine Unruhe und eine Furcht empfunden, die sie sich selbst nicht zu deuten wußte. Es schien ihr, als verliere sie das Bewußtsein ihres eigenen Lebens und sei in eine Art intensiven, blendenden Scheinlebens versetzt, in dem sie nur schwer atmen konnte. Hineingezogen in diese Atmosphäre, die die Glut einer Schmiede ausströmte, fühlte sie sich fähig, alle die Verwandlungen zu erdulden, die der Beleber an ihr vollzog, um sein beständiges Bedürfnis nach Schönheit und Poesie zu sättigen. Sie fühlte, daß ihr eigenes Bild in dem

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