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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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Vorwort
    Held, Vorbild, Rebell und Robin Hood – Schinderhannes alias Johann Bückler – ein Sohn des Hunsrücks muss sich, ob er will oder nicht, irgendwann in seinem Leben mit dem Idol Schinderhannes auseinander setzen. Was blieb mir also übrig? Nach dem Studium von acht einschlägigen Büchern war mir der Held verdächtig, weil er selbst den brutalsten Überfall nur aus Übermut verübt haben sollte. Erst ein »aktenmäßiger Bericht« aus dem Jahre 1804 rückte mein Bild von diesem Gesetzlosen wieder in ein normales Licht. Mein Plan stand fest, nun endlich ein Buch über den wahren Johann Bückler mit all seinen Fehlern zu schreiben, auch wenn ich geliebtes Volksgut zerstören müsste.
    Nach der Verhaftung des Schinderhannes am 16.   Juni 1802 in Frankfurt erwähnte der Chronist einen der Mitgefangenen, er hieß »Fetzer«. Fußnote: Mathias Weber, berüchtigter Räuberhauptmann der Rhein- und Ruhrdepartements. »Fetzer« – dieser Name machte mich neugierig.
    In der Universitätsbibliothek stand der über fünfzig Bände umfassende »Rheinische Antiquarius«. Da niemand den Fetzer kannte, suchte ich unter »Schinderhannes« und gelangte zum sechsten Band der zweiten Abteilung. Bei der Verhaftungsszene las ich: »Fetzer, Fußnote: Siehe Band drei in der dritten Abteilung«. Endlich, einundsechzig Seiten nur Mathias Weber, ein Bericht in alter Sprache, mal »ruchlos«, mal »kühn«, schließlich endete das Leben des Fetzers auf dem Alter Markt. Er war der Letzte, der in Köln öffentlich hingerichtet wurde. Ich kaufte einen großen Karteikasten aus Holz, um darin das Leben des Fetzers zu sortieren. 1778 war er in Grefrath geboren worden, und 1803 endete er auf der Guillotine. Es waren nur 25   Jahre, ein leicht überschaubarer Lebensweg – in ein paar Monaten ist das Buch fertig, dachte ich.
    Drei Wochen lang ordnete ich die Überfälle, teilte die Jahre ein, schrieb Orte und Namen auf, Köln, Düsseldorf, Neuss und Neuwied waren mir geläufig, aber wo waren Im Hörstchen, Auf der Altenkirch, Rottchen, Bürich, Fetthennen und Auf der Klinke? Anruf beim Landschaftsverband in Köln. Dort die Auskunft, ein Beamter im Rheinischen Amt für Landes- und Volkskunde an der Universität Bonn könnte vielleicht weiterhelfen. Aber der hatte noch nie etwas vom Fetzer gehört. Fast empört berichtete ich über den Mathias Weber. Er lachte mich aus, als ich nach einem Buch fragte, in dem ich mal eben die mir unbekannten Ortsnamen nachschlagen könnte. »Bringen Sie mir eine Liste, ich werde versuchen, Ihnen zu helfen.« Als ich das Institut zum ersten Mal verließ, drückte der Pförtner nicht auf den Summer. Er kam zur Tür und durchsuchte meine Aktentasche. »Hier gibt es alte Bücher, die sollen auch hier bleiben«, war seine Erklärung.
    Die Aufstellung wurde lang, zum Schluss waren es sechsunddreißig Orte, die ich nicht kannte und auch nicht im Autoatlas finden konnte. Der Beamte warf einen kurzen Blick auf die Liste, dann nickte er freundlich und zeigte auf sechs Mappen mit alten Karten und vier dicke Bücher. »Vielleicht finde ich darin einen Hinweis, dann werde ich versuchen, ihn auf moderne Karten zu übertragen, dann nehmen wir einen topografischen Plan und dann …«, es kam noch ein »dann«, dann erst würde ich die genaue Ortsangabe wissen. Der Pförtner erkannte mich wieder, als er meine Tasche in der Hand hatte, er sah nicht mehr hinein.
    Zu Hause arbeitete ich an meiner Kartei weiter. Zu jedem mir bekannten Überfall notierte ich die Beute. Von Dukaten bei Eseln und Talern bei kleinen Mädchen hatte ich schon als Kind gehört, Gulden kannte ich nur aus Holland und Francs aus Frankreich. Aber der Fetzer erbeutete mit seiner Bande Sonnenpistolen, Laubtaler, Brabanter Kronen, Karolinen, Kölner Gulden und Kaiserliche Golddukaten. Er freute sich über zwanzig Goldpistolen mehr als über hundert Taler. Im Übrigen bezahlte er den Branntwein in den Kölner Wirtshäusern mit Stuber, Fettmännchen, Blaffert, Mariengroschen, und wenn er nur noch Kleingeld hatte, mit vielen Kopfstücken. Der Beamte im Bonner Historischen Institut verwies mich an einen Kollegen. Vorsichtig geworden, fragte ich ihn bei meinem Besuch, was ein Blaffert sei. »Ein Reichstaler spezies hat achtzig Albus oder sechzig Stuber oder dreißig Kaiserliche Groschen oder zwanzig Blaffert.« Ein Fachmann – ich blieb. Er schickte mich mit drei alten Büchern in den Lesesaal, und ich versuchte, alle Währungen auf eine Währung
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