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Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Titel: Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
Autoren: Xanthippe Verlag
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zusammengereimt, ist halt durchgedreht und hat sich dann eingebildet, ihr sei der Erzengel Gabriel erschienen.»
    «Deswegen nennen sie den armen Kleinen Jesus. Die Leute sind brutal», bemerkt Amalia, «aber bei uns hat er es ja jetzt gut.»
    Weva macht eine Pause, zögert, sieht zum Fenster hinaus, und plötzlich ahnt Amalia, was geschehen sein muss.
    «Maria – auch? Du willst doch nicht sagen, dass …», Amalia verschlägt es die Sprache.
    Weva nickt stumm.
    «Sie war so verzweifelt, als ich sie damals bei einem Kräutergang besuchte. Nicht wegen der Erwartung, da war sie selber noch gar nicht darauf gekommen. Nein. Weil dieser feine Herr abgereist war, ohne etwas zu sagen.»
    «Unser Professor, du meinst James McGregor?»
    «Damals war er noch nicht Professor. Er war unverheiratet und verbrachte viel Zeit in seiner Station zum Beobachten des Aletschgletschers. Da sind sie sich wohl näher gekommen.»
    «Ich weiss nur, dass Maria ihm manchmal bei seinen Krankenbesuchen half.»
    In Amalias Kopf jagen sich die Gedanken und Bilder. Sie versucht sich zu erinnern, ob sie etwas bemerkt hat früher.
    «Zuerst war das wohl so», fährt Weva fort. «Er war neugierig, interessiert, erzählte gern und sie, du kennst sie ja, immer interessiert, damals noch jedenfalls. Aber sie hing geradezu an seinen Lippen. Ich vergesse nie mehr, wie ich einmal oben bei ihrer Hütte in der Nähe unterwegs war und sie antraf, als sie ihm gerade Milch gebracht hatte. Ihre Augen leuchteten, und sie schien irgendwie in einer anderen Welt. Interessierte sich sogar für Gletscherforschung.»
    Weva schüttelt den Kopf, als ob sie sich das nicht recht vorstellen könnte.
    «Ich kann dir sagen, das Fernweh, das hat sie von ihm bekommen. Sie wollte dieses Leben hier nicht mehr. Sie wollte weg. Auswandern.»
    «Und dann?»
    «Dann ist sie eines Tages eben zu mir gekommen mit roten Augen. Der Professor sei weg. Plötzlich abgereist. Und er habe doch davon geredet, dass er sie mitnehmen werde.»
    «Ja was!», Amalia schüttelt ungläubig den Kopf.
    «Er wird sie in dem Glauben gelassen haben. Sie muss jedenfalls davon überzeugt gewesen sein, dass er sie nach Schottland mitnehmen würde, das dumme Ding.»
    «Vielleicht hat er ihr das wirklich versprochen», bemerkt Amalia.
    «Man weiss, was die Männer alles sagen, wenn sie gerade in entsprechender Laune sind», meint Weva trocken.
    «Und dann?», Amalias Gedanken wandern wieder.
    «Also, ich versuchte sie etwas zu trösten. Ich behielt sie dann im Auge. Ich dachte mir schon so etwas. Ich besuchte sie ein-, zweimal und fragte, wie es ihr gehe, ob ihr am Morgen schlecht sei. Sie bejahte sofort, erstaunt. Sie kannte sich eben nicht aus, war so jung, als ihre Mutter starb, dreizehn oder vierzehn.»
    Weva geht hinüber zur Feuerstelle und stochert ein wenig mit der Feuerzange in der Glut. Dann bläst sie hinein, und als das Feuer wieder lodert, fährt sie fort:
    «Da habe ich ihr gesagt, sie erwarte ein Kind.»
    Amalia hält sich die Hand vor den Mund. Was muss dann geschehen sein? Von einem Kind oder auch nur der Schwangerschaft hatte sie nie gehört. «Und, wie hat Maria das aufgenommen?», will sie nur wissen.
    Weva blickt zum Kruzifix an der Wand und macht das Kreuzzeichen auf die Stirn.
    «Herr Jesus, erbarme dich unser, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Sie war wie von Sinnen, völlig aufgelöst, weinte und weinte.»
    «Also hat sie nicht damit gerechnet?», fragt Amalia.
    «Ich weiss es nicht, aber sie wollte es unbedingt behalten, meinte, dann hätte sie wenigstens etwas. Sie wird im Geheimen gedacht haben, sie könnte McGregor damit umstimmen. Sie wollte ihm schreiben und ihm alles sagen, aber ich redete ihr ins Gewissen. Ich sah sofort, dass das kein gutes Ende nehmen konnte.»
    Weva zupft an ihrer Kleidung herum.
    «Ihr wisst das nicht mehr, aber es ist gar nicht so lange her, da hat man unten in Visp eine Frau geköpft, weil sie ihr Uneheliches getötet haben soll. Du weisst, wie das ist. Eine Frau, die unehrenhaft … Wenn sie wenigstens verheiratet gewesen wäre, wäre das ja nicht so aufgefallen.»
    «Aber Weva, da musst du doch dagegen sein! Wenn dich der Pfarrer hören könnte.» Amalia hätte das nie gedacht von Weva.
    «Der?», Weva schüttelt entgeistert den Kopf. «Der nahm ihr noch die Beichte ab, er wusste genau, dass ich ihr den Tee gebe. Die wollen auch keine Probleme, am liebsten nichts damit zu tun haben. Aber sie hat es seelisch nie verdaut. Wurde nicht mehr glücklich.
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