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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness
Autoren: Aufbau
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eins
    Mit finsterer Miene betrachtet der Türsteher meinen Ausweis. Das Neonschild über uns färbt sein Gesicht violett. Ich reibe mir die nackten Arme. In den letzten paar Minuten ist es bestimmt fünf Grad kälter geworden.
    Neil lungert ein Stück weiter an der Schwingtür herum. Er hat immer noch sein Arbeitshemd an und sieht verschwitzt und abgeschlafft aus. Er zuckt, als wollte er zurückkommen, um sich einzumischen. Ich reiße die Augen auf, eine stumme Botschaft. Lass mich mal. Ich mach das schon.
    Mit blutunterlaufenen Augen schaut der Türsteher von seiner Betonstufe auf mich herab. Er hat zu viele Nächte hintereinander gearbeitet. Ich straffe die Schultern in dem zu engen T-Shirt. Jetzt kommt’s auf mich an – und auf die Überzeugungskraft meiner beiden besten Stücke. Der Türsteher weiß, dass der alte Führerschein meiner Mutter ein Witz ist. Ich weiß, dass er weiß, dass der Führerschein ein Witz ist. Er weiß, dass ich weiß, dass er es weiß. Er versucht nur seinen Job zu machen.
    »Was bist du für ein Sternzeichen?«, fragt er schließlich.
    Damit hab ich gerechnet. »Löwe. Und du?«
    Das entlockt ihm tatsächlich ein müdes Lächeln. So ein harter Typ ist er gar nicht. Die Daunenjacke lässt ihn bulliger erscheinen, als er ist.
    »Seh ich so aus, als ob ich an den Quatsch glaube?«
    »Du siehst aus, als ob du frierst. Soll ich dir einen Kaffee rausbringen?«
    »Nein, danke. Geh rein und amüsier dich« – er wirft noch einmal einen Blick auf den Führerschein, bevor er ihn mir mit einem wissenden Grinsen zurückgibt –, » Maree .«
    Neil führt mich in den warmen Pub. Mit einem dumpfen Geräusch schwingt die Tür hinter uns zurück. Ich stoße einen Seufzer aus.
    »Willkommen im Diabetic Hotel, Kleine.« Neil lässt seine Hand eine Spur zu lang auf meinem unteren Rücken liegen.
    Ich bin wahnsinnig froh, dass ich es durch die Tür geschafft habe, und beschließe, ihm die gönnerhafte Tour ausnahmsweise durchgehen zu lassen. »Dann gehst du jetzt mal direkt zur Theke?«
    Neil salutiert und zischt ab, um uns was zu trinken zu besorgen. Ich spreize die Finger. Ich hatte die Nägel so fest in die Handflächen gegraben, dass
     sie sichelförmige Abdrücke hinterlassen haben.
    Ich quetsche mich an einem Zigarettenautomaten vorbei und laufe durch eine weitere Schwingtür zur Bar. Der Pub ist kleiner, als ich dachte, aber es ist viel los. In dem schwachen Neonlicht sehen die Leute alle aus, als hätten sie Gelbsucht. Zum Glück sitzt Rosie schon an einem Tisch in einer Ecke. Ich gehe zu ihr durch und hieve mich auf einen Barhocker.
    Rosie fasst mich am Arm. »Ein Glück, dass du reingekommen bist. Ich dachte schon, du schaffst es nicht.«
    »Ich hatte alles im Griff«, entgegne ich, verpatze dann aber meinen lässigen Auftritt, als ich die Handtasche schwungvoll auf den Tisch werfen will und ihn meterweit verfehle. Ich versuche sie aufzuheben, ohne den fiesen Teppich zu berühren. Als ich wieder hochkomme, schwankt der Raum und um ein Haar wäre ich vom Hocker gerutscht. Dieser Hocker ist definitiv für Leute gemacht, die mindestens einen Kopf größer sind als ich.
    Bei Neil haben wir zu dritt zwei Flaschen Wein geleert. Normalerweise trinke ich nicht. Ich muss es unbedingt etwas langsamer angehen lassen, damit ich mich nicht blamiere. Sonst denken Neil und Rosie noch, ich könnte nichts vertragen.
    »Das hatte ich mir aber anders vorgestellt.« Rosie schaut sich zweifelnd im Raum um. Ihr Outfit verrät, dass sie dachte, Neil würde etwas Nobleres aussuchen. Das rückenfreie Kleid eröffnet vorn gefährliche Einblicke.
    »Rosie …« Ich zeige auf ihr Dekolleté.
    »Huch!« Mit erschrockenem Gesicht zieht sie das Kleid höher. »Danke.«
    »Man konnte fast alles sehen.«
    »Musst du gerade sagen! Ist dein T-Shirt eingelaufen?«
    Punkt für sie. Ich hab es gekauft, um meine Mutter zu schocken. Aber statt zu meckern, hat sie mich gefragt, ob sie es mal ausleihen kann. Ich bin nicht die Einzige in der Familie, die scharfe Klamotten zu schätzen weiß.
    »He, ihr zwei!« Neil stellt einen Krug Bier und Gläserauf den Tisch. Er sieht uns herausfordernd an und findet sich offenbar unwiderstehlich. »Was sagt ihr zum Diabetic?«
    Ja, was sage ich dazu? In dem Laden sitzen lauter Opas, Anzüge und Hohlköpfe herum. Die Wände sind kotzgrün, mit uralten Sportemblemen dekoriert. Mit dem klebrigen Tisch will ich nicht in Berührung kommen und der Kunstledersitz meines Hockers hat einen Riss. Es gibt
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