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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness
Autoren: Aufbau
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gegen meine. Sie trägt knappe Shorts und eine weiße Strumpfhose, und wer braune Augen langweilig findet, der hat sie nicht mehr alle. Mit dieser Pfirsichhaut kann sie unmöglich von hier sein.
    Ich weiß nicht, ob ich sie zu oft oder zu selten angucke. Die Knöchel meiner Hände am Bierglas sind weiß. Eigentlich bin ich nicht so der gesprächige Typ, aber wie wir da sitzen, sie auf ihrem Hocker und ich auf meinem, habe ich das Bedürfnis, den Raum zwischen uns zu füllen.
    »Woher kommst du, Wildgirl?« Als ich sie so nenne, strahlt sie.
    »Aus Plexus.«
    Das kenne ich. Auf der anderen Seite des Flusses.
    Als ich noch auf der Highschool war, bin ich mal nach Plexus gefahren. Direkt am Strand gab es einen Freizeitpark, der nicht mehr in Betrieb war. Durch das verriegelte Tor warfen Thom, Paul und ich mit Steinen auf eine Clownsfigur, bis uns langweilig wurde und wir die Bahn zurück nach Hause nahmen. Das ist lange her.
    »Was ist mit deinen Freunden?« Ich mache eine Kopf bewegung in die Richtung der beiden.
    Wildgirl dreht sich um und winkt ihnen zu. »Wir arbeitenzusammen. Neil wohnt hier in der Nähe, deshalb bin ich auf dieser Seite der Stadt. Bei Rosie bin ich mir nicht sicher.«
    Neil wirft mir über sein Glas hinweg einen tödlichen Blick zu, während Rosie versucht, ihn mit Geplapper und Zigaretten abzulenken. Ich habe keine Lust auf eine Schlägerei, aber auf keinen Fall werde ich diesem Typ zuliebe meinen Platz neben Wildgirl aufgeben. »Neil scheint ein großer Fan von dir zu sein.«
    »Widerlich – so alt, wie der ist.« Wildgirl nimmt einen tiefen Schluck. »Er ist mein Vorgesetzter. Normalerweise hänge ich nicht mit dem rum.«
    »Dann bist du nicht als Touristin auf der dunklen Seite?«
    Sie zieht die Nase kraus. Das sieht so süß aus, dass ich mir ganz viel einfallen lassen möchte, womit ich diesen verwirrten Ausdruck noch mal auf ihr Gesicht zaubern kann.
    »Wie meinst du das?«
    »Du weißt doch, dass der Laden hier in Shyness liegt, oder?«
    »Ja. Neil hat gesagt, das ist das Viertel neben seinem.«
    »Hat Neil dir auch erzählt, dass die Sonne hier nicht aufgeht?«
    Sie lacht laut und herzhaft. Sie hat wirklich keine Ahnung. Manchmal vergesse ich, dass es die meisten anderen Leute nicht kümmert, was hier los ist.
    Dann verebbt ihr Lachen. »Das ist dein Ernst, oder?«
    Ich nicke.
    »Sie geht nie auf? Echt niemals?«
    »Jetzt sieht man es nicht, weil ja sowieso überallNacht ist. Aber wenn du tagsüber die Grey Street überquerst, umfängt dich die Dunkelheit.«
    »Als ob jemand das Licht dimmt?«
    »In ganz Shyness. Völlige Dunkelheit.«
    Sie stützt den Kopf auf. Ich sehe ihr an, dass sie nicht weiß, ob sie mir glauben soll. Sie überlegt, ob ich spinne oder nicht. Sie wickelt eine Haarsträhne um den Finger und ihre Armreifen rutschen in Richtung Ellbogen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich noch dasitzen kann, ohne sie zu berühren.
    »Und der Mond? Der Mond macht es doch ein bisschen hell.«
    »Der Mond lässt mich nie in Ruhe.« Ich will noch mehr sagen, aber ich verkneife es mir. Ich will sie nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen.
    Sie trinkt ihr Bier in einem Zug aus und knallt das Glas auf die Theke. »Komm, wir gehen.« Sie lässt sich von ihrem Hocker gleiten und wirft die riesige rote Handtasche über die Schulter.
    »Was?«
    »Hast du doch gehört. Ich hab keine Lust mehr auf den Laden hier. Lass uns gehen.«
    »Wohin?«
    »Dahin, wo die Nacht anfängt. Geh mit mir zur Grey Street.«
    »Im Moment gibt es da aber nichts zu sehen. In der ganzen Stadt ist es Nacht.«
    Sie zuckt die Achseln. Sie reicht mir zwar kaum bis zur Schulter, aber man sieht ihr an, dass sie ordentlich austeilen kann, wenn es drauf ankommt. Ich gucke mich um. Paul und Thom sind immer noch nicht aufgetaucht.
    »Wartest du auf jemanden?«
    »Nur auf die Jungs aus meiner Band.« Hey, Paul und Thom kann ich jeden Abend treffen. »War aber nicht sicher, ob sie kommen würden.« Ich stehe auf und trinke mein Bier aus. Robbie nickt mir zu.
    Wildgirl und ich gehen Richtung Ausgang. Ich schaue mich nicht um, aber ich weiß, dass ihre Freunde uns die ganze Zeit hinterhersehen.

3
    Wildgirl steht mitten auf der Grey Street und hat die Arme ausgestreckt wie ein Guru. Sie drückt mit den Händen gegen die Luft und versucht sie aufzustemmen, wegzudrücken. In der Ferne heult eine Sirene, abwechselnd hoch und tief wie ein langgezogener anerkennender Pfiff.
    »Da findest du nichts!«, rufe ich ihr zu. »Da ist nichts.«
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