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Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Titel: Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
Autoren: Xanthippe Verlag
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ist ihr Gesichtsausdruck schwer zu interpretieren.
    McGregor wird wieder von einem fürchterlichen Hustenanfall geschüttelt. Amalia versucht, ihn etwas zu stützen. Er beruhigt sich, lehnt sich wieder in die Kissen zurück, schliesst die Augen und atmet flach. Kleinste Schweissperlen bilden sich auf seiner Stirn.
    Sie sucht ein Tuch, damit sie ihm die Stirn abtupfen kann. Doch Maria hat alles mitgenommen. Sie geht zum Holzschrank und schaut hinein. Hier müssen doch irgendwo Tücher sein. Sie findet eines, zieht es hervor und kehrt zurück ans Bett. Plötzlich fällt ihr Blick auf ein Stück Papier, das unter dem Bett hervorlugt, ein Briefumschlag, an McGregor adressiert. Sie hebt ihn auf, legt ihn aufs Nachttischchen.
    Amalia stutzt. Die Schrift kennt sie doch? Und da fällt es ihr ein: Es ist die Schrift von Kamil. Das sind seine krakeligen Buchstabenmalereien, unverkennbar. Amalia ist überrascht, dreht den Brief um. Aber was ist denn das? Der Absender ist gar nicht Kamil, denn hinten stehen andere Initialen:
    «B. W. Naters, Valais, Schweiz», liest Amalia und wundert sich. Da hat Kamil wohl einen Brief für jemanden geschrieben, wie er das hin und wieder tut. Die meisten im Dorf können nicht schreiben oder tun es nicht gerne. Kamil kann trotz allem gar nicht schlecht Briefe verfassen, wenn er sich Mühe gibt, sogar fast ohne Fehler.
    Sie runzelt die Stirn. B.W.? Etwa der Pfarrer? Nein, der heisst Walter, dann würde das W an erster Stelle stehen, Walter Benjamin. Und der Pfarrer kann ja selber schreiben. Einen Moment lang hält Amalia inne, ein Gedanke beschäftigt sie plötzlich. Und wenn dieser Brief einen Hinweis enthielte, der ihnen weiterhelfen könnte? Sie zögert. Eigentlich ist es gar nicht ihre Art, anderer Leute Briefe zu lesen. Das ist Privatsache. Aber jetzt? Vielleicht hat der Brief etwas mit der Ausstellung in Chamonix zu tun. Sie überlegt fieberhaft. Dann müsste Kamil ja Bescheid wissen. Er hätte doch etwas gesagt, wenn es wichtig wäre. Es sei denn … Amalia stockt der Atem. Sie darf den Gedanken nicht zu Ende denken. Kamil? Hat er etwas mit der ganzen Sache zu tun?
    Amalia wirft einen prüfenden Blick auf die Vorderseite des Couverts. Der Poststempel ist verblichen, also ist es kein neuer Brief. Sie öffnet etwas den Einschnitt und kann das Absenderdatum erkennen: 1857. Ein alter Brief, denkt sie beruhigt. Das hat nun sicher nichts mit dem Unglück hier zu tun. Sorgfältig legt sie den Brief in die obere kleine Schublade des Nachttischchens. Ich kann Kamil ja später danach fragen.
    Amalia setzt sich auf ein Taburett neben dem Bett. McGregor ist in einen Tiefschlaf versunken, das gibt ihr die Gelegenheit, in Ruhe seine Gesichtszüge zu studieren.
    Wenn er so daliegt, sieht er richtig hager aus, seine Wangen sind eingefallen. Um die Augen haben sich graubraune Ringe gebildet. Er atmet schwer, sein Mund bleibt dabei leicht geöffnet. Wenn er nicht atmen würde, denkt Amalia, sähe er schon aus wie tot. Sie erschrickt selber ob diesem Gedanken. Ob es noch zu vermeiden ist? Ob sie den Täter finden können? Es sieht nicht danach aus, als würde sich der Fall demnächst aufklären.
    Plötzlich beginnt der Professor zu stöhnen, murmelt etwas Unverständliches. Er hebt leicht eine Hand und zeigt auf das Fenster, «… you cannot do that …», stöhnt er und hustet, « Lord Commissioner », kann Amalia noch verstehen und dann « Penelope » und « mother! ». Aber einen zusammenhängenden Satz kann sie nicht ausmachen. Er spricht im Fieber, denkt sie und bedauert ihn. Wie erbärmlich doch jemand aussieht, wenn sein Ende naht.
    Nach einer halben Stunde klopft es leise. Dennoch zuckt Amalia zusammen. Weva tritt ins Zimmer.
    «Na, wie geht es unserem Patienten?», flüstert sie.
    «Nicht gut. Er ist im Fieberschlaf. Zwischendurch murmelt er eigenartige Dinge. Dann schläft er wieder tief. Manchmal setzt auch sein Atem aus. Weva, mir ist das unheimlich. Ich bin froh, dass du kommst», sie sieht ihre Tante dankbar an.
    «Geh nur, ich bleibe jetzt», sagt Weva. «Maria ist unten und kocht Kartoffeln. Sie kann mich dann wieder ablösen. Ich bleibe eine Weile hier beim Kranken.»
    Weva beugt sich über McGregor und mustert ihn aufmerksam.
    «Er sieht wirklich schlecht aus.»
    Obwohl Amalia nicht lange bei ihm war, ist sie dankbar, dass sie den Patienten nun Weva überlassen kann. Das ganze Drum und Dran hat sie sehr ermüdet. Sie spürt einen heftigen Schmerz im Kopf, so, als drohte er zu zerspringen.
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