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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug
Autoren: Georg Gracher
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    1
    SCHON SEIT WOCHEN rüstete
     sich der Kur- und Wintersportort Bad Hofgastein für das Erntedankfest
     Ende September. Alfred Schleißheimer hatte sich an diesem
     wolkenlosen Samstagnachmittag unauffällig von den letzten
     Vorbereitungen losgeeist. Er war kein Freund von Folklore und
     Brauchtumsveranstaltungen, überhaupt kein Verfechter brachialer
     Belustigung, für den er, der »flotte Fredl«, von vielen
     Einheimischen gehalten wurde. Und eben jene, die ihn nur flüchtig
     kannten, glaubten ja auch, er sei ein honoriger Bürger, hatte er doch
     den sicheren Arbeitsplatz auf der Linzer Sparkasse, das nette Häuschen
     in bester Lage im Ortsteil Lafén, eine attraktive Frau und eine
     brave Tochter, die mit ihren vierzehn Lenzen weder gepierct noch tätowiert
     noch sonst wie modisch verunstaltet war.
    Aber der Enddreißiger
     war nichts weniger als ein honoriger Bürger, und auch er selbst sah
     sich nicht als solchen. Der »flotte Fredl« war nur Fassade,
     eine wirksame, jedoch furchtbar banale Fassade, wie er sich selbst tagtäglich
     eingestand. Den Spitznamen verdankte er seiner Beliebtheit bei weiblichen
     Bankkunden, die sich seinem Charme und seiner Beflissenheit kaum entziehen
     konnten. Und das wollte etwas heißen, denn Anlageberater waren auch
     in Zeiten guter Konjunktur nicht immer everybody’s darling.
    Ihm selbst war seine
     Beliebtheit als Tarnung zwar willkommen, darüber hinaus aber gleichgültig.
     Diesbezüglich machte er sich nichts vor. Besonders jetzt nicht, da er
     mit dem RAV4 die Bergstraße ins Angertal, eines der Gasteiner
     Seitentäler, hochbretterte.
    Nicht egal war ihm hingegen,
     dass sein Arbeitsplatz auf der Bank trotz seiner Tüchtigkeit
     keineswegs so sicher war, wie Außenstehende annahmen. Natürlich
     hatte er noch diesen einen makabren Trumpf im Ärmel, aber wenn es
     hart auf hart kam, war nicht unbedingt gesagt, dass er auch stach. Seine
     Frau musste um ihre Dienststelle weitaus weniger bangen als er um seinen
     Posten, und eben das hielt er für eine ausgesprochene Ungerechtigkeit
     des Schicksals. Salma war noch Gouvernante im »Grand Hotel«.
     Noch! In den letzten Jahren hatte sie dort immer wieder die Fristlose fürchten
     müssen. Ihre Affären mit Angestellten und Gästen des Hotels
     gehörten zum Standardklatsch des Gasteiner Gastgewerbepersonals. Dass
     sich die Frau eines so flotten Hirschs schadlos hielt, verstand jeder,
     dass sie sich dabei aber etwas diskreter hätte verhalten können,
     war ebenso Common Sense. Ihr selbst war inzwischen egal, was die Leitung
     des Hotels oder die Gasteiner im Allgemeinen über sie dachten. Wenn
     alle Stricke rissen, würde sie genau dort einen Job bekommen, wo er,
     Fredl Schleißheimer, um seinen bangen musste: auf der Linzer
     Sparkasse.
    Im Skizentrum Angertal rührte
     sich nichts um diese Jahreszeit. Die Liftkabinen der Kasereben-Seilbahn
     verbrachten den Spätsommer auf Halde. Ihre Aufhängevorrichtungen
     ragten in die Höhe wie die Arme von Industrierobotern und erinnerten
     Schleißheimer in ihrer stereotypen Ausrichtung an ein bekanntes Bild
     von Egger-Lienz. Das geräumige Parkhaus war abgesehen von einigen
     Autos des Service-Personals leer. Während er daran vorbeifuhr, fragte
     er sich zum x-ten Mal, ob er denn komplett wahnsinnig geworden sei. Warum
     nur fuhr er jetzt und hier am Wochenende im wunderschönen
     herbstlichen Angertal seinem Verhängnis entgegen, statt den Kameraden
     von der Bergrettung entspannt bei den Vorbereitungen für das
     Erntedankfest zu helfen?
    Entspannt? Nein, entspannen
     konnte man sich nur schwerlich, wenn einem von drei Seiten Unheil drohte.
     Aber sie würde dafür sorgen, dass er für kurze Zeit alles
     um sich herum vergaß.
    Er blickte auf seine
     Breitling-Armbanduhr. Vierzehn Uhr dreißig. Wieder rief er das SMS
     auf: »bin etwas klamm. komm um 15 uhr zur r-hütte! werde auch
     ganz lieb sein. wie wär’s mit neuem handy?«
    Schon das Lesen der Nachricht
     erregte ihn. Sein Glied versteifte sich so rasch, dass es schmerzte.
    Ihm war durchaus bewusst, auf
     welch dünnem Eis er sich bewegte. Himmel, wie sehr er sich dessen
     bewusst war – und das seit Jahren! Aber er konnte seinen Hang zu
     diesen jungen Dingern nicht kontrollieren. Es war eine Sucht, eine Sucht,
     der er keinen Widerstand entgegenzusetzen hatte. Die Lolitas wussten das
     und nutzten es natürlich gnadenlos aus. Seine derzeit aktuelle war
     gerade erst vierzehn und ein besonders
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