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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Autoren: Diego de Silva
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Der allgemeine Sinn für Ästhetik
    Zuallererst müsste ich mal lernen, mich um meinen eigenen Kram zu kümmern und etwas misstrauischer gegenüber Unbekannten zu sein. Dazu hatte mir schon meine Großmutter geraten. Und meine Großmutter hat immer recht, so viel ist sicher. Großmüttern machst du nichts vor (anders als manchen Müttern, die ihre Sprösslinge erst auf YouTube sehen müssen, damit sie mitkriegen, wie die ihre Klassenkameraden drangsalieren). Und wenn sie, meine Großmutter, mir jetzt zuschaut, dann hat sie bestimmt ihren hellen Spaß. Vermutlich hat sie ein paar Freundinnen dazu eingeladen (ich weiß sogar, welche), sitzt vorm Himmels- TV und genießt es, wenn sie wieder mal recht behält (im Nachhinein zu sehen, wie recht man doch hatte, ist einfach das Größte).
    Weil ich ja eher ein zurückhaltender Typ bin, sollte es mir eigentlich nicht schwerfallen, mich etwas mehr um meinen eigenen Kram zu kümmern.
    Wenn es nach mir ginge und mir nicht immer das landläufige Denken in die Quere käme, könnte ich übrigens auf eine Menge Sachen verzichten, zum Beispiel darauf, mit anderen über Gott und die Welt zu reden. Nicht dass ich mich für was Besseres hielte – aber wenn man’s recht bedenkt, ist das Reden über Gott und die Welt einfach nur eines: anstrengend. Du musst dich auf grobe Vereinfachungen einlassen, musst Dinge runterspielen, die dir wichtig sind, und ab und zu musst du dem Gesprächspartner sogar noch in die Augen schauen (obwohl es welche gibt, die dazu einfach nicht in der Lage sind und ihr Gesicht die ganze Zeit drei viertel von dir weggedreht halten).
    Kaum weniger peinlich ist es, wenn du zusammen mit einem Nachbarn den Aufzug benutzt und dich verpflichtet fühlst, etwas zu sagen, obwohl du nicht die geringste Lust zum Reden hast, schon gar nicht mit dem da (der übrigens, wie dir gerade aufgeht, sowieso nie grüßt). Und so redet ihr dann den üblichen Schwachsinn daher. So was in der Richtung wie: höchste Zeit, dass es mal ordentlich kalt wird. Dieses undefinierbare Wetter nervt langsam wirklich. Und überhaupt, was soll man bei solchen Temperaturen eigentlich anziehen? Entweder ist man sofort erkältet, oder man bekommt Schweißausbrüche, wenn man sich noch was drunterzieht .
    Ganz zu schweigen von den Situationen, in denen du auf eine Meinung reagieren musst, obwohl es dir erst mal die Sprache verschlägt. Das ist mir vor einiger Zeit bei einem Typen passiert, von dem ich nicht mal mehr den Namen weiß und der mir verklickerte (unglaublich, wie hemmungslos manche Leute vom Leder ziehen), die Scheibenputzer an den Ampeln würden sich lieber den ganzen Tag rumtreiben, anstatt wirklich zu arbeiten: Frag die doch mal , ob die morgens um fünf auf die Baustelle zum Malochen kommen wollen wie die italienischen Arbeiter, ereiferte sich der Typ, und du wirst schon sehen, was sie dir antworten .
    »Ja wie – fest angestellt, mit Rentenanspruch?«, habe ich zurückgefragt.
    Einen Moment lang herrschte peinliches Schweigen.
    »… fest angestellt, mit Rentenanspruch«, gab er schon etwas kleinlauter zurück.
    Also ich möchte jetzt nicht als Soziopath gelten, aber nach einem Gespräch mit so einem Arsch kommst du dir am Schluss selber vor wie ein Arsch, auch wenn du ihm gar nicht die Stange gehalten hast. Ungefähr so, als hättest du die Gitarre deiner Jugend verhökert. Ja genau, so läuft das nämlich mit dem Reden über Gott und die Welt. Dieses zwanglose Gequatsche – frisch von der Leber weg, unverblümt und vor allem unter Ausschluss der Öffentlichkeit (da sagen die Leute am ehesten, was sie wirklich denken) – bringt die Sprache nämlich auf den Hund. Die Sprache, und davor schon das Denken. Wenn du vor einem Publikum sprichst, musst du für das, was du sagst, Verantwortung übernehmen – du kannst nicht eben mal locker dahinsagen, die Scheibenputzer hätten keine Lust zum Arbeiten. In der Öffentlichkeit regiert nämlich der allgemeine Sinn für Ästhetik, dieser mächtige soziale Hemmschuh, der immer mit der vagen, aber unverkennbaren Mahnung Wie-sieht-das-denn-aus daherkommt.
    Typischerweise macht sich das ›Wie-sieht-das-denn-aus‹ urplötzlich in Gestalt eines Zweifels bemerkbar, der dich automatisch bei etwas ausbremst (einer Handlung, einer Äußerung, einer Frage), an dem du eigentlich noch gar nichts finden kannst. In diesem Moment des Zweifels genügt dir die Eventualität, dass es möglicherweise als unpassend empfunden werden könnte .
    Das
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