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Spiel Der Sehnsucht

Spiel Der Sehnsucht

Titel: Spiel Der Sehnsucht
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Prolog
    Burford Hall, Yorkshire, November 1807
    Die Schulleiterin, Mrs. Drinkwell, starrte den Jungen mit gerümpfter Nase an. »Der ist aber ziemlich dunkel.«
    Die Gouvernante umklammerte seine knochige Schulter mit hartem Griff. »Zigeunerblut, von seiner Mutter her«, erklärte sie mißbilligend.
    Mrs. Drinkwell war keineswegs erstaunt, denn das Internat ›Burford Hall‹ beherbergte eine nicht geringe Zahl von Jungen dubioser Herkunft. Da die Schule ziemlich weit von London entfernt und außerdem recht isoliert lag, nutzte so mancher Edelmann sie gerne, um seine unehelichen Kinder dort unterzubringen. Ein Zigeunerbastard jedoch war ihr bisher noch nie zur Erziehung an-vertraut worden.
    Mrs. Drinkwell schürzte verächtlich die Lippen. Es ging ihr einfach gegen den Strich, mit welch gewöhnlichen Frauen die Herren der Gesellschaft sich oft einlie-
    ßen.
    »Haben Sie die Gebühr für das erste Jahr dabei?« fragte sie. »Wir gewähren grundsätzlich keinen Kredit - nicht einmal dem Bastard des Königs.«
    Die Augen der Gouvernante leuchteten auf. »Sie haben einen königlichen Bastard hier? Ihre Ladyschaft wird erfreut sein, das zu hören. Sehr erfreut sogar.«
    Mrs. Drinkwell lächelte verkniffen. »Ach, die Dame weiß von dem Fehltritt ihres Gatten?«
    Die Gouvernante verstärkte ihren Griff um die Schulter des Jungen. »Nein! Und Sie werden ihr auch nichts mitteilen, wenn Sie Wert darauf legen, daß die Gräfinwitwe Ihre horrenden Gebühren - Au!« Sie unterbrach sich mit einem spitzen Aufschrei. »Oh! Der freche Lause-bengel hat mich gebissen! Gebissen hat er mich!« zeterte sie und schüttelte dabei die verletzte Hand, als wollte sie das schmerzende Glied von sich schleudern.
    Während sie vor sich hinjammerte, flitzte der dunkelhaarige Knabe zur Tür. Mrs. Drinkwell aber, die seit Jahren im Umgang mit aufsässigen Jungen geübt war, kannte jeden Trick. Sie war vor ihm an der Tür, und als er versuchte, seine Zähne auch an ihr auszuprobieren, schlug sie ihn mitten ins Gesicht.
    Sie war eine große, starke Frau, und daß der Junge klein und schmächtig war, kümmerte sie nicht. Der Schlag warf seinen Kopf nach hinten gegen die Wand, daß es nur so krachte. Wie eine zerbrochene Puppe fiel das Kind zu Boden und rührte sich nicht mehr.
    Die Gouvernante starrte auf die reglose Gestalt. »Bei allen Heiligen!« murmelte sie und bückte sich zu dem Kind hinab. »Er wird doch nicht tot sein? Sie haben ihn doch nicht getötet? Denn wenn Sie es getan haben ...«
    Anstatt einer Antwort stupste Mrs. Drinkwell den Jungen mit dem Fuß. Als das keine Reaktion hervorrief, trat sie ihm gegen das Schienbein. Das Kind wimmerte, und Mrs. Drinkwell warf der Gouvernante einen triumphie-renden Blick zu. »Sie brauchen mir keineswegs Ratschlä-
    ge zu erteilen, wie ich meine eigene Schule zu führen habe. Die Herstellung von Zucht und Ordnung ist mein Spezialgebiet. Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn Ihre Herrin ihren Enkel wiedersieht, wird er vorzügliche Manieren haben. Und nun geben Sie mir bitte das Geld.«
    Die Gouvernante öffnete ihren Beutel und reichte der Schulleiterin eine Börse. »Ich soll Ihnen sagen, daß Sie ihn auch in den Ferien dabehalten sollen. Hier ist genug Geld, und Myladys Anwalt wird Ihnen noch mehr anweisen.«
    »Sie will sich wohl nicht mit ihm abgeben, wie?«
    »Kann man ihr daraus einen Vorwurf machen?« Die Gouvernante ging zur Tür. »Wie würde es Ihnen gefallen, wenn Ihr einziger Enkel ein heidnischer Zigeuner wäre?
    Er kann von Glück sagen, daß seine Großmutter reich genug ist, um für seine Erziehung aufzukommen.«
    »Mein Name ist Ivan!«
    »Nein, du heißt John!« höhnte der große Junge.
    »Johnnyboy!« rief ein anderer.
    Ivan betrachtete die drei, die ihn in eine Ecke gedrängt hatten, und versuchte, seine Furcht nicht zu zeigen. Aber das war schwierig. Er wollte nicht an diesem gräßlichen Ort sein, weit weg von allem, was er kannte. Und nun sollte er sogar seinen Namen ändern. Doch das würde er auf keinen Fall tun, obwohl er selbst nicht genau wußte, weshalb. Er war Ivan und nicht John. Alles in seinem Leben hatten sie verändert, doch seinen Namen würde er nicht hergeben.
    »Ich bleibe dabei, mein Name ist Ivan!«
    Der größte seiner drei Kontrahenten grinste. »Ivan?
    Das ist ein ausländischer Name, ein Zigeunername. Bist du ein Zigeuner, Ivan?« fragte er verächtlich.
    Ivan hob den Kopf und ballte die Fäuste. Wenn sie einen Kampf wollten, so konnten sie ihn haben. Er
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