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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Autoren: Tobias Radloff
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/// Neoberlin, 2. November 2084

    Es war einer dieser Tage, an denen die letzte bewohnbare Stadt auf dem Planeten noch hässlicher war als sonst. Die Plattenbauten ragten wie Grabsteine in den oxidgelben Himmel. Aus den Straßenlautsprechern summte die Stimme des Obersten Direktors wie das Rauschen eines toten Funkkanals. Zu allem Überfluss hatte Nieselregen eingesetzt, nicht sauer genug, um auf der Haut zu brennen, aber zu trüb, um nicht zu jucken.
    Connor wischte sich mit dem Handschuh einen Tropfen von der Schutzbrille. Er hasste Neoberlin. Selbst die Kontaminierte Zone Brandenburg war besser als dieser Moloch. Aber er konnte nicht fort. Nicht solange der Direktor die kläglichen Reste der Menschheit tyrannisierte. Nicht solange Marys Mörder noch lebte.
    Mit einem letzten Blick über die nächtliche Straße betrat er die Treppe. Ein riesiges, geborstenes »Z« lag quer über den Stufen, zwischen denen Unkraut hervorwucherte. Connor stieg vorsichtig darüber hinweg und legte den Kopf in den Nacken, falls weitere Buchstaben lose sein sollten. Aber der Rest der ENTRAL- UND LANDESBIBLIOTHEK hielt.
    Lilith drehte sich zu ihm um, bevor sie seine Schritte hätte hören können. Ihre pupillenlosen Augen waren groß und weiß wie Untertassen. Wie immer sandte ihr Blick einen Schauer über Connors Rücken. »Und?«
    »Ich habe keine Verfolger entdeckt. Aber das heißt nicht, dass sie uns nicht auf den Fersen sind. Wie weit seid ihr?«
    Han Pritcher kniete vor dem zweiflügligen Portal und schien gute Lust zu haben, seinen elektronischen Dietrich an die Wand zu schmeißen und es stattdessen mit einer Granate zu versuchen. »Das Schloss ist total verrostet«, knurrte er an der Zigarre zwischen seinen Lippen vorbei. »Hier ist seit Jahrzehnten niemand durchgegangen.«
    »Dann wird es Zeit, meinst du nicht?« Connor warf einen Blick zurück auf die Straße. Sie war leer. Noch.
    »Du kannst es gerne selbst versuchen.«
    »Ich will dir nicht die Schau stehlen.«
    Han machte ein abfälliges Geräusch und beugte sich wieder über das Schloss. Sein Kopf verschwand in einer Wolke aus Zigarrenrauch. Als sie sich verzog, stand die Tür offen und in seinem Gesicht ein breites Grinsen. »Wer sagt‘s denn.«
    Lilith verzog die Mundwinkel. »Na endlich.«
    Han holte Luft für eine spitze Bemerkung, aber Connor schnitt ihm das Wort ab. »Schluss jetzt! Ihr wisst, was auf dem Spiel steht.« Er nahm sein Gaußgewehr vom Rücken und ging voran.
    Der Oberste Direktor war im Begriff, den Gehorsam zur ersten Bürgertugend zu küren, als sie die Endlosschleife hinter sich ließen und in das Museum für Druckwerke und Bücher eintauchten. Bis auf das Trippeln der Mäuse war es still. Staubflocken tanzten im Licht der Lampen, und die Füße der drei Widerstandskämpfer ließen längliche Spuren auf dem Boden des Museums zurück.
    Der Büchersaal war groß wie eine Kathedrale. Staunend sah Connor sich um. Vom Mittelgang zweigten in engen Abständen Regale ab, in denen Bücher standen, unfassbar viele Bücher, eins neben dem anderen, aneinandergereiht vom Boden bis unter die Decke. Ein trockener, nicht unangenehmer Geruch lag in der Luft und erinnerte ihn an das Knistern von Papier und daran, unter der Bettdecke zu lesen. Interessant. Connor hatte sich nie als jemanden gesehen, der unter der Bettdecke gelesen hatte.
    »Und wie sollen wir hier die Formel finden?« Han pustete die Staubschicht von einem Buch und musste niesen.
    Lilith legte den Finger an die Lippen. »Da hinten ist was.«
    Sie gingen hinter einem Regal in Deckung. Connor schob seine Waffe zwischen zwei Büchern hindurch und spähte den Gang entlang. Als er den Restlichtfilter seines Zielfernrohrs zuschaltete, erkannte er den Umriss. Sofort tippte er sich mit der flachen Hand an die Schläfe – das Zeichen für Denkstille.
    Die Gedankendrohne schwebte durch den Korridor. Durch das Fernrohr konnte Connor jedes Staubkorn auf ihrem roten Kameraauge sehen. Sie ließ die telepathischen Antennen im Suchmodus kreisen, und aus ihrem Hinterleib ragte der unterarmlange Lauf eines Partikelblasters.
    »Hornisse«, flüsterte Connor. »Sie hat uns noch nicht geortet.«
    »Was tun wir?«, fragte Lilith ebenso leise.
    »Wir hüten unsere Gedanken, bis wir mit ihr fertig sind. Han spielt den Köder. Du unterdrückst den Funkverkehr, und ich erledige den Rest.«
    Han guckte säuerlich, widersprach aber nicht. Er sammelte sich kurz und trat dann in den Mittelgang. Der Geruch von Tabakersatz blieb
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