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Das ewige Lied - Fantasy-Roman

Das ewige Lied - Fantasy-Roman

Titel: Das ewige Lied - Fantasy-Roman
Autoren: mainbook
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1: Blaue Tinte
    „Jayel! Jayel! Aufwachen!“ Das junge Mädchen hielt die Augen fest geschlossen und versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen. Sie ignorierte das Geschrei ihres Bruders in der Hoffnung, noch einige Minuten Frieden zu haben. Und wirklich, die Stimme ihrer Mutter sagte deutlich: „Nun lass sie doch noch ein bisschen schlafen, Grat. Morgen muss sie schon wieder fort.“ Jayel seufzte und drehte sich auf die andere Seite. Genau das war der Grund, warum sie noch ein bisschen Zeit für sich allein wollte. Sie streckte sich und spürte den kratzigen Stoff der Bettdecke auf ihrer nackten Haut. Vorsichtig blinzelte sie in das Sonnenlicht, das durch die zugezogenen Vorhänge in die kleine Kammer fiel. In dem entstandenen Halbdunkel konnte Jayel die wenigen Einrichtungsgegenstände erkennen: das Holzbett, auf dem64 sie lag, den nicht übermäßig großen, aber doch geräumigen Schrank an der Wand, gegenüber ein gut gefüllter Bücherschrank und daneben stand eine aufgeklappte Reisetruhe, die Jayel höhnisch anzugrinsen schien. Das Mädchen zog sich rasch die Decke über den Kopf wie ein kleines Kind, das böse Geister zu vertreiben versucht. Dabei wusste sie genau, dass sie der Truhe nicht entkommen konnte. Schon morgen musste sie wieder fort…
    Jayel starrte die weiße Bettdecke dicht über ihren Augen an und atmete den Duft von Kräutern ein. Ihre Mutter legte kleine Beutel mit Kräutern immer zwischen die frisch gewaschenen Laken, damit sie besser rochen. Jayel liebte diesen Geruch, denn er bedeutete Sicherheit, Frieden und Fürsorge für sie. Sie nahm sich vor, einen dieser Beutel in ihre Truhe zu packen.
    „Jayel! Jetzt hast du aber wirklich lange genug geschlafen! Steh endlich auf!“, ließ sich nun die Stimme ihrer Mutter vernehmen. Unwillig räkelte sich das Mädchen ein letztes Mal in den Laken und setzte sich schließlich auf.
    „Jayel! Hast du nicht gehört?“
    „Ja, Mutter! Ich komme gleich!“ Die klare und glockenhelle Stimme des jungen Mädchens hallte durch das Haus, und ihre Mutter wandte sich lächelnd wieder ihrer Arbeit zu.
    Oben in ihrem Zimmer schwang sich Jayel mehr oder weniger munter aus dem Bett. Sie schlang sich ein Seidentuch um den zierlichen Körper und trat ans Fenster. Vorsichtig schob sie die Gardinen ein wenig auseinander und blickte hinaus in den sonnigen Tag. Es bestand nur geringe Gefahr, dass jemand das Mädchen in diesem doch recht unziemlichen Aufzug am Fenster sehen könnte – es sei denn, ein Bediensteter hielt sich zu dieser Zeit im elterlichen Garten auf. Aber im Haushalt gab es nur die dicke Köchin Tilde und den alten Diener Chrisofus, und beide kannte Jayel seit sie ein kleines Kind war. Weitere Angestellte konnten sich Jayels Eltern nicht leisten, denn auch wenn Peer Ysternas Handelskontor gut lief und einen bürgerlichen Lebensstandard ermöglichte, so war die Familie doch nicht reich, aber wohlhabend.
    Auch der Garten, auf den Jayel nun herabblickte, drückte dies aus. Überhaupt einen Garten zu besitzen, war in einer Stadt wie Uhlenburg ein Zeichen von Wohlstand. Doch die kaum zehn Schritte durchmessende Anlage hatte weder einen Pavillon noch Wasserspiele zu bieten, war also nicht für größere Gesellschaften geeignet. Peer Ysternas empfing seine Gäste im Speisezimmer, direkt neben der Küche, und selbst dann konnten nur etwa fünf Gäste anwesend sein, wenn auch die Familie am Essen teilnehmen sollte.
    Den Göttern sei Dank kamen solche Geschäftsessen nur etwa zweimal pro Monat vor, und während ihres Aufenthaltes zu Hause war Jayel bis jetzt eine solche Zusammenkunft erspart geblieben.
    Jayel blinzelte zum Himmel hinauf. Die Sonne stand schon sehr hoch, sie musste sich nun wirklich beeilen, wenn sie noch auf den Markt wollte, ehe die Händler ihre Marktstände zur Mittagszeit schließen würden. In Uhlenburg war es in der Sommerzeit durchaus üblich, in den Mittagsstunden das Handwerk niederzulegen und zu ruhen, wenn die Hitze das größte Ausmaß des Tages erreicht hatte.
    Jayel reckte sich noch ein bisschen und versuchte, über die hohe Mauer zu blicken, die das Anwesen der Familie Ysternas umschloss, doch sie konnte nur die Dächer der dahinter liegenden Häuser sehen – Bürgerhäuser, wie das ihre. Familie Ysternas lebte in einer „anständigen Gegend“, wie ihre Mutter das nannte. Ruhig, friedlich – und langweilig. Das junge Mädchen seufzte erneut. „Wenn ich nur selbst wüsste, was ich will“, murmelte sie vor sich hin. „Hier
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