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Spiel Der Sehnsucht

Spiel Der Sehnsucht

Titel: Spiel Der Sehnsucht
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war, den anderen Kindern aus der Sippe seiner Mutter war es noch schlechter ergangen. Vielleicht hatten einige von ihnen die vergangenen zwanzig Jahre überlebt; er war jedenfalls nicht in der Lage gewesen, sie aufzuspüren.
    Doch das war keine Entschuldigung für die Handlungsweise der alten Frau. Er schenkte sich Whisky ein und schluckte ihn ohne Genuß hinunter. Dann setzte er das Glas hart auf den Tisch. »Ich gehe. Schicken Sie eine Nachricht zu Blackburns Haus am Compton Square, wenn Sie abreisen.«
    »Ich habe nicht die Absicht, mein eigenes Heim zu verlassen«, erwiderte Antonia frostig.
    An der Tür drehte Ivan sich noch einmal um und betrachtete seine Großmutter. Vor zwanzig Jahren hatte sie ihn aus der Sippe seiner Mutter gerissen, doch damals war er bereit gewesen, ihre Existenz zu begrüßen. Er hätte die Existenz eines jeden Menschen in seinem Leben begrüßt. Seine Großmutter jedoch hatte das verängstigte Kind der Grausamkeit von Burford Hall überlassen. Der Grausamkeit des ständig betrunkenen Schulleiters und dessen sadistischer Frau; der Grausamkeit einer Knaben-gemeinschaft, in der die Stärkeren herrschten und die Schwächeren untergingen.
    Aber eine wichtige Lektion hatte sich ihm in Burford Hall eingeprägt, eine Lektion, nach deren Regel er heute noch lebte: Macht bedeutet Recht zu bekommen.
    Nun besaß er diese Macht, und sie gab ihm das Recht zu tun, was er wollte.
    Er musterte das alte Weib, das da vor ihm saß, mit kaltem, gleichgültigem Blick. Es war zu spät für ihre Versuche, sich jetzt noch in sein Leben einzuschleichen. Viel zu spät.
    Und das, was ihr am wichtigsten war, nämlich eine ge-hobene Position in der Gesellschaft und die Fortführung des Stammbaums, galt ihm nichts; ja sogar weniger als nichts.
    »Sie können gegen mich nicht gewinnen«, knurrte er.
    »Bleiben Sie hier, wenn Sie wollen; doch ich warne Sie, Sie werden dabei nicht glücklich. Sie sollten lieber aufs Land zurückkehren, in den Schoß Ihrer Familie. Ach, Sie haben ja gar keine Familie, nicht wahr? Zumindest keine Familie, die Sie lieben - oder die Sie liebt. Doch vielleicht kann Ihre Dienerschaft Sie darüber hinwegtrösten.«
    Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging gemessenen Schrittes aus dem eleganten Salon in die marmorne Eingangshalle und schließlich durch die hohen Portale und über die Granitstufen hinab ins Freie.
    Obwohl Westcott House zu den nobelsten Häusern von London gehörte, war es für ihn nur ein Haufen öder Steine. Es mochte das großartige Zeugnis eines Titels sein, der seit nahezu vierhundert Jahren von Generation zu Generation weitergereicht worden war; für Ivan jedoch war es nur ein Werkzeug der Vergeltung. Die mondäne Welt, die Saison, das Geld - all das betrachtete er eigentlich als Zeitverschwendung, nützlich nur insoweit, als sie es ihm ermöglichten, sich an denen zu rächen, die ihn so sehr verletzt hatten.
    Daß diese Rache ihm keine Genugtuung brachte, leug-nete er vor sich selbst. Denn wenn Vergeltung nicht sein Ziel war, wenn sein Leben sich nicht darum drehte, alle, die einst auf ihn herabgeblickt hatten, in den Staub zu treten, was zum Teufel sollte er dann mit dem Rest dieses Lebens anfangen?

2
    Hougthon Manor, nahe Wellington, Somerset Mai 1829
    Lucy Drysdale hörte die zornigen Schreie ihrer Neffen, aber sie zog es vor, sie zu ignorieren. Mit dem Rücken zur Tür des Morgenzimmers las sie noch einmal den letzten Absatz des Briefes, den sie soeben erhalten hatte: » ... Ich werde während dieser Saison in der Fatuielle Hall lesen. Falls Sie sich in London aufhalten werden, würde ich Ihnen empfehlen, sich die ganze Vorlesungsreihe anzuhören. Besonders meine Theorien über die geistige und moralische Entwicklung von Kindern werden Sie interessieren. Bis dahin verbleibe ich aufrichtig der Ihre,
    Sir James Mawbey, B.A.«
    Lucy drückte den Brief an ihre Brust und seufzte. Aufrichtig der Ihre. Obwohl sie wußte, daß es kindisch war, aus dieser schlichten Abschiedsformel etwas Besonderes herauszulesen, konnte sie nicht anders. Wenn es je einen Mann gegeben hatte, von dem sie wünschte, er wäre aufrichtig der ihre, so war das Sir James Mawbey. Seit sie zum ersten Mal seine Artikel gelesen hatte, war sie von größter Bewunderung für ihn erfüllt.
    Endlich war ein Mann aufgetaucht, dessen Interessen über Jagd und Würfelspiel, Landbesitz und Pferde hin-ausgingen.
    Endlich ein Mann, der über die selben Dinge nachdachte wie sie und der seine Gedanken sogar
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