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Spiel Der Sehnsucht

Spiel Der Sehnsucht

Titel: Spiel Der Sehnsucht
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ließ sich das deutlich an-merken. »Du meine Güte, sind die Kinder wieder unar-tig?«
    »Halt die Klappe, Pru!«
    »Halt du die Klappe!«
    In diesem Augenblick tauchte ihre Mutter, Hortense, in der Halle auf. »Was in aller Welt...« Sie hielt mitten im Satz inne, als sie die Scherben der pseudochinesischen Vase über den ganzen Boden verstreut sah. »O je, o je, da wird euer Vater aber verärgert sein, sehr verärgert.«
    Dann bemerkte sie Lucy. »Oh Lucy, wie konntest du das zulassen?«
    Lucy zog es vor, nicht zu antworten. Obwohl sie meistens versuchte, Mitgefühl für ihre weinerliche Schwägerin aufzubringen - die Ärmste war schließlich mit Graham verheiratet und hatte an dieser Last genug zu tragen -, hatte sie im Augenblick andere Sorgen.
    »Prudence, geh mit Charity und Grace in den Rosen-garten«, wies sie das älteste Mädchen an. »Auf der Stelle«, fügte sie hinzu, als Prudence den Mund zum Widerspruch öffnete. Zu ihrer Schwägerin sagte sie mit einem knappen Lächeln: »Ich werde mich darum kümmern, Hortense.«
    »Oh, ja. Aber was ist mit der Vase?«
    »Schick Lydia herauf, damit sie die Scherben zusam-menfegt.«
    »Ja, aber - was wird Graham sagen? Wegen der Vase, meine ich. Er wird es sicher bemerken. Er sitzt ja an diesem Platz, an diesem Tisch, seit ich zum ersten Mal nach Houghton Manor kam, da war ich noch ein Kind, und das sind jetzt bestimmt schon, ach, ich weiß gar nicht, wie viele Jahre, und ...«
    »Bitte, Hortense«, unterbrach Lucy das Geplapper ihrer Schwägerin.
    »O ja, natürlich.« Hortense zog sich zurück. Sie war äußerst unpraktisch veranlagt, sowohl als Ehefrau wie auch als Mutter. Doch sie war fruchtbar, und das war es schließlich, was Graham gewollt hatte. Das war es, was alle Männer wollten, dachte Lucy zornig. Sicher würden auch die beiden Rabauken, die jetzt nervös vor ihr standen, das eines Tages von ihren Frauen erwarten. Eine Gebärmaschine ohne eigene Vorstellungen und Gedanken.
    Sie betrachtete die beiden mit finsterem Blick. »Sagt die Wahrheit und erzählt ganz genau, wie es passiert ist.«
    »Es war seine Schuld!«
    »Nein, er hat angefangen!«
    »Genau, wie es passiert ist«, wiederholte Lucy. »Ich lasse euch beide heute nachmittag jedes einzelne Adels-wappen von England auswendig lernen, wenn ihr nicht sofort mit der Wahrheit herausrückt.«
    Die Brüder tauschten einen Blick, der besagte, daß Lucy die Oberhand gewonnen hatte. Sie versuchte meistens, die Kinder auf eine Weise zu bestrafen, die einen Bezug zur begangenen Untat herstellte. Manchmal griff sie jedoch auf die ehrwürdige Tradition zurück, die kleinen Missetäter einen langen Text abschreiben zu lassen.
    Anstelle von Bibelzitaten bevorzugte sie jedoch die hier-archische Auflistung der Adelsgeschlechter. Das war ihr eigener kleiner Seitenhieb auf eine Gesellschaftsordnung, die so einengend und restriktiv war, daß sie jeden kreati-ven Gedanken im Keim erstickte. Wider besseres Wissen hoffte sie, daß gerade diese Strafe den beiden Knaben eine lebenslängliche Abneigung gegen die starren gesellschaftlichen Regeln einimpfen würde, unter denen sie aufwuchsen.
    »Derek hat Sunny gefüttert«, sagte Stanley anklagend.
    »Es war nur ein Apfel!«
    »Sunny gehört mir, nicht Derek!«
    »Und was geschah dann?« unterbrach Lucy.
    »Er hat mich umgeworfen!« antwortete Derek.
    »Aber du hast mich mit Schmutz beworfen!«
    »Nachdem du mich umgeworfen hast!«
    »Du hast es verdient!«
    »Hab' ich nicht!«
    »Hast du doch!«
    »Jungs! Jungs! Und wie seid ihr hier hereingekommen und habt die Vase runtergeworfen?«
    »Stanley hat mich gejagt!«
    »Den ganzen Weg von den Ställen? Und vermutlich hat sich keiner von euch die Zeit genommen, sich den Schmutz von den Schuhen zu streifen?«
    Derek runzelte die Stirn. »Ich konnte nicht anhalten. Er war hinter mir her.«
    »Er wäre mir sonst entwischt«, erklärte Stanley. Beide blickten schuldbewußt zu Lucy auf.
    Sie waren im Grunde keine schlechten Jungen. Und wenn sie schon etwas zerschmissen hatten, so war es wenigstens die scheußliche alte Vase gewesen. Aber darum ging es nicht. Sie waren Brüder, die in gegenseitigem Haß aufwuchsen, wie so viele andere ihres Standes.
    Jüngere Brüder, die nichts erbten, haßten ihre älteren Brüder, ebenso wie diese ihre Väter haßten und ungeduldig auf deren Tod warteten. Und all das war das Ergebnis dieses antiquierten Rechtes des Erstgeborenen.
    »Beginnen wir mit dir, Stanley. Ich möchte dich daran erinnern,
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