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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau
Autoren: Robert Goolrick
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mit so wenigen Worten wie möglich neben seiner Schwester, Ralphs Mutter und seinem Vater begraben.
    Catherine kam sein Sarg sehr groß vor. Man konnte gar nicht glauben, dass dieser wunderschöne Körper darin eingeschlossen war, für immer weggesperrt von Licht und Luft. »Mir scheint, ein jegliches Wesen in Licht und Luft sollte glücklich sein«, hatte der Dichter gesagt. »Wer nicht im Sarge und finstern Grabe liegt, wisse, dass er genug hat.« Sie hatte das Schwindel erregende Gefühl, lebendig in Gegenwart der Toten zu sein.
    Zwei Tage waren vergangen. Jetzt stand sie in den Trümmern des Gartens, von dem sie gehofft hatte, ihn bepflanzen zu können. Die hohen Mauern versperrten ihr den Blick auf die übrige Welt. In den Ecken des Gartens lag immer noch Schnee, und die umgestürzten Statuen waren von Eis überzogen. Hier schien es zehn Grad kälter zu sein als im Rest der Welt, obwohl die Rückseite des Hauses herrlich in der westlichen Sonne leuchtete. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wie all das hier eigentlich begonnen hatte.
    Sie hatte etwas gewollt und sich aufgemacht, es zu bekommen, das Ziel hatte klar vor ihren Augen gelegen, und sie war überzeugt von ihrer eigenen Handlungsweise gewesen. Aber dann war alles durcheinandergeraten, durch das Gewicht des gewöhnlichen Lebens, durch die Art, wie Menschen lebten, und die Art, wie das Herz die Dinge, die es wünscht, anzieht, und die, die es fürchtet, abstößt. Ihr eigenes Herz hatte Neigungen entwickelt, die sie sich niemals hätte vorstellen können, und ihre Hoffnungen hatten sich auf einmal an Dinge geheftet, die sie sich früher niemals gestattet hätte.
    Sie trug das blaue Wollkleid, dass sie gerade fertig genäht hatte, als Antonio starb. Seine Hände hatten den Stoff an ihrem Körper betastet. Sie stand ernst und schlicht da, mitten im alten Garten auf der versteckten Rückseite des prächtigen Hauses. Antonio war tot. Ein ganzes Leben war für sie gestorben.
    Sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, Truitt hatte seit dem Tod nicht mit ihr gesprochen, und sie hatte ihn in seinem tiefen Kummer auch nicht gestört. Sie aßen gemeinsam an dem langen Tisch, aber danach gab es keine Gespräche, kein Vorlesen von Gedichten nach dem Abendessen, kein opulentes Fest des Fleisches im Dunkeln. Sie hatte sich ein kleines, schlichtes Schlafzimmer ausgesucht und zog sich dahin zurück, um still und heimlich um alles zu weinen, das sie verloren hatte.
    Sie hatte Angst. Sie hatte Angst um den Rest ihres Lebens. Wenn Truitt sie loswerden wollte, was sie vermutete, konnte sie nirgendwo mehr hin. Sie wollte nicht wie Emilia in einem völlig verdreckten Haus enden. Sie wollte nicht wie Alice enden, die in irgendeiner Gasse im Schnee erfror, und dabei noch einmal daran denken, wie schön es früher gewesen war, froh, dass die Last eines anstrengenden Lebens jetzt von einem genommen wurde, da man sogar von den Engeln verlassen war und den Tod auslachte, der einem mit kalten Fingern die Kehle zudrückte. Sie hatte niemanden auf der ganzen Welt. Ihre ganze Welt, das, was davon noch übrig war, lag hier, und es gab keine Möglichkeit mehr, dahin zurückzukehren, wo sie vorher gewesen war.
    Die Erinnerung daran, was sie mit ihren Tagen und Nächten gemacht hatte, schien ihr jetzt unvorstellbar. Jene Tage und Nächte kamen zu ihr zurück wie die Seiten eines Kalenders, die von einem Kind umgeblättert werden, in einem Wirrwarr von Tagen und Monaten und Jahren. War sie im Theater gewesen? Hatte sie in ihrer Schönschrift kokette Briefe geschrieben, wobei die nach Lavendel duftende Tinte den Ärmel eines gerüschten Morgenmantels von Worth in Paris befleckt hatte? Hatte sie sich im Bett von Männern weggedreht, damit sie das Geld nicht sehen musste, das sie auf dem Nachttisch deponierten? Es war nicht möglich. Dennoch konnte sie es nicht verleugnen – jede schlimme Erinnerung, jeder Vertrauensverlust hatte sie den ganzen langen Weg von dort, wo sie gewesen war, dahin gebracht, wo sie jetzt war.
    Offensichtlich war es mit Truitt aus, dafür hatte Antonio in seinem letzten Akt der Grausamkeit gesorgt. Sie konnte nicht beurteilen, wozu ihn seine tiefe Trauer jetzt treiben würde, und sie stand da, im Wissen, einen Fehler gemacht zu haben, aber unfähig, sich die Konsequenzen auszumalen. Er konnte nicht immer weiterschweigen. Die Wahrheit war
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