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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Klepper
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1837, Straßburg und Zürich
    Am Sonntag, dem 12. Februar 1837, erhielt Minna den letzten Brief von ihrem Verlobten. Aus Zürich. Die Adresse war von fremder Hand geschrieben wie auch der Brief selbst. Nur die letzten Worte »Adieu, mein Kind« und seinen Namen hatte er daruntergesetzt. Dies in gewohnter flüssiger Feder.
    Minna las den Brief dreimal. Dann setzte sie sich. Eine Locke Georgs, die dem Brief beigelegen hatte, hielt sie in ihrer Faust gepresst. Sie öffnete die Finger, und das Haar gab sacht nach, eine Bewegung wie Atem, ein Stück Lebenszeichen.
    Der Brief kam von den Schulzens, den Freunden, bei denen er Quartier gefunden hatte, Minna kannte sie. Nun ersetzte Caroline Schulz seine Hand, die nicht einmal mehr eine Feder übers Papier führen konnte.
    Die Uhr an der Wand tickte in ihre abwesenden Gedanken hinein, erinnerte daran, dass sie hier war, in Straßburg. Sie wusste es doch! Er habe sich verkältet, schrieb er vor drei Wochen, dann ging es wieder.
    »Ich gehe fast so richtig wie eine Schwarzwälder Uhr«, scherzte er. Er scherzte Tag für Tag, um alles und jeden, und doch klang im Grunde vieles dabei bitter und verzerrt. Minna wusste nie, wie ernst seine Rede zu nehmen war.
    Alles meine ich ernst, lieb Kind, hatte er einmal gesagt. Die Welt kann so böse sein, piccola mia, aber wir sind gut zueinander.
    Da lebte er noch in Straßburg, und jetzt hielt er Vorlesungen in Zürich, war weit weg, und nun lag er krank. Sie hatte es gewusst!
    »Du bist voll zärtlicher Besorgnis und willst krank werden vor Angst«, so er, wieder in diesem Schelmenstil, am 27. Januar. »Ich glaube gar, Du stirbst – aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin gesund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier hat mich gesund gemacht.«
    Und nun musste er sich doch pflegen lassen, von Caroline, die für ihn kochte, ihm das Bett richtete und ihn fragte, was er brauche, den Arzt bestellte. Ein gastrisches Fieber sei es. Sie las es wieder und stand auf. Er sei in guten Händen, die Ärzte täglich bei ihm.
    Sie ging hinaus in den Flur und dachte an den vorherigen Brief. Darin noch alles heiter, unbefangen.
    »Du kommst bald? Mit dem Jugendmut ist’s fort, ich bekomme sonst graue Haare; ich muss mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen. Addio, piccola mia!«
    Du kommst bald? – Wie sollte sie ihm die Frage beantworten? Wann sollte sie kommen? Nach Zürich? Jetzt blieb keine Zeit, um zu antworten. Sie hielt sich am Geländer fest, ging zum Studierzimmer ihres Vaters.
    Ihr Vater sah von seiner Arbeit auf, sobald die Türklinke knarrte. Auf dem Schreibtisch vor ihm lagen vier Bücher gleichzeitig geöffnet. Minna, was ist? Du bist blass.
    Vater! Vater, ich muss jetzt reisen!
    Schmerzlich verzog Jaeglé die Mundwinkel, schlosslangsam die Augen, öffnete sie wieder, sagte: Nun, was stand in dem Brief? Dann wollen wir sehen. Eines nach dem anderen.
    Der hartnäckige Ton seiner Tochter drückte ihm aufs Herz. Sie hielt ihm den Brief hin, schnell und fordernd.
    Lest bitte selbst, Vater.
    Die Haarlocke Georgs hielt sie auf ihrer flachen Linken, betrachtete den blonden Ring, den sie doch nicht streicheln mochte, der ihr in den Handteller brannte, einen Stich den Arm hinaufschickte.
    Vater, George hat den Brief nicht selbst geschrieben! Es muss ihm fürchterlich gehen. Ich muss reisen, ohne Aufschub, oder ich werde irrsinnig!
    Sich schwer auf die Armlehnen stützend, stand Pfarrer Jaeglé auf, ließ den Brief auf den Schreibtisch gleiten.
    Lass uns überlegen, Minna. George ist gut aufgehoben, und es kann reine Vorsicht oder die Laune der Stunde gewesen sein, dass er den Brief schreiben ließ.
    Er legte seine Hände auf die blauen Samtrevers seines alten Hausrocks, in dem er die Vormittage verbrachte. Als wollte er die Hände vom Schweiß befreien, ließ er sie hinunter über den Bauch gleiten.
    Nie, Vater! George arbeitet selbst in höchster Erschöpfung. Er fand stets Zeit zum Schreiben, für seine Dramen und allemal für einen Brief!
    Sie schluckte, senkte den Blick und nahm den Brief vom Schreibtisch, faltete ihn zusammen.
    Du weißt, Minna, ich kann dich nicht begleiten.
    Aber Louis-Théodore! Es wird in dieser Notlage hinreichend sein, wenn er mich als Bruder nach Zürich begleitet.
    Notlage! Minna, ich bitte dich!
    Sie sah, als der Vater sich abwandte, dass es Zeit war, zu
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