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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau
Autoren: Robert Goolrick
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großer Höhe auf die kleine Erde unter sich blicken.
    Die Stange und das Seil waren nutzlos, und während sein Sohn die ganze Nacht unterm Eis lag, war Ralph untröstlich. Er schlief allein. Er wollte nicht sprechen. Er aß nichts.
    Catherine konnte nicht schlafen. Sie lief durch die Flure des riesigen Hauses, betrachtete die Bilder, strich mit der Hand über die Möbel, ging schließlich in Antonios Zimmer und packte seine Sachen in Koffer. Sie zog sein Bett ab, die Laken dünsteten noch den kräftigen Geruch ihres früheren Liebhabers aus, und sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Dann ging sie schließlich in das perfekte Kinderzimmer, legte sich auf das schmale Bett und schlief ein.
    Am nächsten Morgen mussten sie Männer aus der Stadt kommen lassen, um Antonio aus dem Wasser zu ziehen, dessen makelloses Hemd immer noch erstaunlich weiß auf seiner Brust klebte. Er war groß, schmal und leicht wie ein kleiner Junge. Sein schwarzes Haar ergoss sich auf den Karren, als sie ihn wegbrachten, und im Morgenlicht und dem Wind fror es an seiner Kopfhaut fest.
    Ralph hätte ihm verziehen. Er hätte seinen Sohn in die Arme genommen und gesagt, ist ja gut, ist ja gut jetzt, es ist jetzt vorbei. Mehr wird nicht mehr passieren, mehr kann nicht mehr passieren. Die Geschichte, diese alte Geschichte, ist zu Ende. Er hätte seinen Mund auf den seines Sohnes gepresst und geatmet und noch mal geatmet, bis sein warmer Atem dem Sohn die Lungen gefüllt, bis sein Sohn die Augen geöffnet, ihn angesehen und ihm vertraut hätte.
    Aber es hatte keinen Sinn. Es war nutzlos. Es war bloß eine Geschichte. Es war bloß eine Geschichte von Menschen, von Ralph, Emilia, Antonio, Catherine und den Müttern und Vätern, die zu früh oder zu spät gestorben waren, von Menschen, die einander so sehr verletzt hatten, wie Menschen es überhaupt nur vermögen, die selbstsüchtig und unklug gewesen waren und sich im Gefängnis ihrer bitteren Erinnerungen, von denen sie wünschten, sie hätten sie nie gehabt, eingesperrt hatten.
    Es war bloß eine Geschichte darüber, wie die eisige Kälte einem in die Knochen dringt und nie wieder rausgeht, darüber, wie die Erinnerungen sich einem ins Herz fressen und einen nie mehr loslassen, eine Geschichte über den Schmerz und die Bitterkeit über das, was einem widerfährt, wenn man klein ist und sich nicht wehren kann, aber dennoch das Böse erkennt, wenn es geschieht, über Geheimnisse über das Böse, die man niemandem anvertrauen kann, eine Geschichte über das Leben, das man im Geheimen führt, bei dem man den eigenen Schmerz und den der anderen erkennt, aber aus lauter Hilflosigkeit nur das tun kann, was man eben tut, und vom Ende, auf das das alles hinausläuft.
    Es war eine Geschichte über einen Sohn, der fand, es sei sein einziges echtes und angestammtes Recht, seinen eigenen Vater zu töten. Es war die Geschichte des Vaters, der keine einzige Handlung seines Lebens mehr ungeschehen machen konnte, ganz gleich, was er im Herzen davon hielt. Es war eine Geschichte über Gift, über ein Gift, das einen dazu bringt, im Schlaf zu weinen, und das sich zuerst wie ein Vorgeschmack der Ekstase anfühlte. Es war eine Geschichte über Menschen, die das Leben nicht mehr liebten als den Tod, bis es zu spät dafür war, den Unterschied zu erkennen, Menschen, deren Güte vergessen und im Stich gelassen wurde, wie ein Spielzeug in einem staubigen Kinderzimmer, Menschen, die so vieles sahen, sich nur an eine Handvoll davon erinnerten und noch weniger davon lernten, Menschen, die sich selbst verletzten, ihr eigenes Leben ruinierten und dann damit fortfuhren, auch die Leben der anderen um sie herum zu ruinieren, Menschen, denen man nicht helfen konnte, die weder durch Liebe noch Güte, noch durch Glück oder Charme zu besänftigen waren, die die Güte vergaßen, die doch selbst das schlimmste und misslungenste Leben vor der Verzweiflung retten kann.
    Es war bloß eine Geschichte über Verzweiflung.

25. KAPITEL
    â€¢ • •
    D ie Trauergesellschaft bestand nur aus ihnen dreien, Truitt, Catherine und Mrs. Larsen. Truitt hatte das Grab selbst ausgehoben und einen langen Tag damit verbracht, die auftauende Erde mit der Schaufel aufzubrechen. Tränen wurden nicht vergossen. Aus einer der umliegenden Kirchen kam ein Priester, und Antonio wurde in der Nähe des alten Hauses und
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