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Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Titel: Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
Autoren: Burkhard Schneeweiß , Theodor Hellbruegge
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MECHTHILD PAPOUŠEK
    Anfänge des Spracherwerbs im Entwicklungskontext der frühen Eltern-Kind-Kommunikation 1
Einleitung
    Kompetent, aber angewiesen auf gute Beziehungserfahrungen und Zwiesprache mit den Eltern – in keinem Bereich der frühkindlichen Entwicklung lässt sich diese Aussage eindrücklicher nachzeichnen als im Bereich des Spracherwerbs. Innerhalb nur eines Jahres vollzieht der Säugling den gewaltigen Sprung vom Schreien, diesem angeborenen, stimmlich zwar machtvollen, aber unwillkürlichen und noch ungerichteten Alarmsignal, zum ersten Wort, einem sprachlichen Symbol mit umschriebener Lautstruktur, mit dem er gezielt auf einen Gegenstand, eine Handlung oder ein Ereignis im Erfahrungskontext Bezug zu nehmen vermag.
    Der menschliche Säugling wird mit Fähigkeiten im Bereich von auditiver Wahrnehmung, stimmlicher Nachahmung, Lautbildung, Lern- und Integrationsfähigkeiten und kommunikativen Kompetenzen geboren, die in ihrer Kombination in der Natur einzigartig sind (Papoušek 1994). Innerhalb nur eines Jahres macht er sich mit dem Lautrepertoire der Muttersprache vertraut; wird er empfänglich für die Regeln der Muttersprache, nach denen sich der Sprachfluss in Wörter, Phrasen und Sätze gliedert; erwirbt er die Fähigkeit, Laute gezielt und gerichtet als Mittel der Kommunikation eigener Affekte und Absichten einzusetzen; lernt er, im Sprachfluss der gehörten Sprache umschriebene Lautmuster als Wörter zu identifizieren, ihnen Bedeutung zuzuordnen und mit seinen bereits integrierten Erfahrungen von Gegenständen, Tätigkeiten und Ereignissen im Erfahrungskontext in Beziehung zu setzen. Ein faszinierendes Pensum an Lernaufgaben, die der Säugling quasi mühelos bewältigt, während die Spracherwerbsforschung weitgehend separate Subdisziplinen beschäftigen muss, um Prosodik und Pragmatik, Phonetik und Semantik, Wortschatzerwerb und Syntax Rechnung zu tragen. Zur Aktivierung und Entfaltung seiner sprachbezogenen Lernfähigkeiten braucht er jedoch Kommunikationspartner,die Sprache nutzen, um sich mit ihm zu verständigen und mit ihm Beziehung aufzunehmen. Als weitere Einzigartigkeit in der Natur findet er in der Regel ein Pendant zu seinen Lernbedürfnissen in den intuitiv abgestimmten Kommunikationsfähigkeiten seiner primären Bezugspersonen (H. Papoušek & M. Papoušek 2002).
    Die subtilen Sprachlernprozesse des Säuglingsalters sind unlösbar in andere adaptive Entwicklungsaufgaben der vorsprachlichen Kommunikation eingebunden. Als Teil der Entwicklung von Affektregulation, Intersubjektivität, sozialer Kognition und Bindungsaufbau sind sie manchmal so verborgen, dass sie dem diagnostischen Auge und Ohr leicht entgehen und im Mainstream der älteren Spracherwerbsforschung in ihrer Bedeutung für den Spracherwerb lange verkannt wurden.
    Die systematische Erforschung der stimmlichen Kommunikation begann in den frühen achtziger Jahren mit Hilfe verhaltensbiologischer Methoden der videogestützten Beobachtung und Verhaltensmikroanalyse von Zwiegesprächen im natürlichen Entwicklungskontext der Eltern-Kind-Kommunikation (H. Papoušek & M. Papoušek 1987; M. Papoušek 1994). Über die anfänglichen deskriptiven Analysen hinaus sind es vor allem die neueren Erkenntnisse zur perzeptiven Sprachverarbeitung und zum Aufbau von Intersubjektivität, sozialer Kognition und gemeinsamem Erfahrungshintergrund, die zu einer Neubewertung der frühkindlichen Eltern-Kind-Kommunikation in ihrer Brückenfunktion zum Spracherwerb geführt haben.
Grunderfahrungen intuitiver emotionaler Verständigung und Verbundenheit
    Das Gelingen früher Kommunikationsprozesse zwischen dem Säugling und seinen Eltern bzw. anderen primären Bezugspersonen beruht auf dem fein abgestimmten Zusammenspiel von einzigartigen Fähigkeiten und Motivationen zur sozialen Verständigung auf Seiten des Säuglings und auf Seiten der Eltern, die einander auf erstaunliche Weise ergänzen (H. Papoušek & M. Papoušek 1984, 2002). Dank einer angeborenen Vorliebe für das menschliche Gesicht und einer bereits pränatal erworbenen Vertrautheit mit der mütterlichen Stimme und der Muttersprache sucht schon das Neugeborene aktiv nach Gesicht und Stimme der Mutter. Von früh auf ist es motiviert und fähig, auch im sozialen KontextEreignisse zu entdecken und herbeizuführen, die es mit seinem eigenen Verhalten bewirken und beeinflussen kann. Das Entdecken solch kontingenter Zusammenhänge zwischen seinem Verhalten und dem des Gegenübers ermöglicht ihm von
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