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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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darauf an einem Herzinfarkt, als er gerade das Ansetzen eines Achselwurfs demonstrierte. (Winter sagte: »Ich fand, er sah so aus, als würde er ihn ganz falsch ansetzen.«) Mitten in der Saison vom Verlust des Trainers überrascht, bat das Sportinstitut Winter, einzuspringen. Er erzählte Edith, es sei sein heimlicher Ehrgeiz gewesen. Seine Mannschaft beendete die Saison so stark, daß er fürs nächste Jahr als Cheftrainer verpflichtet wurde, was ein nur geringes, nie angesprochenes Ärgernis unter den kleinlicheren Angehörigen der Fakultät erregte, die ihm das doppelte Gehalt neideten. Nur seine Feinde in der Abteilung für Sprache und Literatur behaupteten je, Winter widme wegen seiner neuen Arbeitsbelastung seinen Deutschstudenten nicht genügend Zeit. Natürlich wurde diese Verstimmung ihm gegenüber nie geäußert. Tatsächlich stiegen die Einschreibungen in Deutsch sprunghaft an, da Winter von jedem Mitglied der Ringermannschaft verlangte, daß er sein Fach belegte.
    Winter behauptete, das Ringen helfe ihm als Deutschlehrer. (Doch er pflegte zu behaupten, es helfe ihm bei allem, was er tue - ja, er behauptete es laut und in unterschiedlicher Gesellschaft, die Hand auf Ediths glattem Hintern, wobei er sie unversehens anschubste und ihren Drink zum Schwappen brachte: »Damit klappt eben alles ein bißchen besser!«)
    Ihre Zuneigung zueinander wirkte echt, wenn auch seltsam. An dem ersten Abend, an dem Utsch und ich bei ihnen aßen, fuhren wir sehr von ihnen angetan nach Hause.
    »Gott, ich finde, er sieht aus wie ein Troll«, sagte ich zu Utsch.
    »Ich glaube, dir gefällt, wie sie aussieht«, sagte Utsch.
    »Er ist beinahe grotesk«, sagte ich, »wie ein riesiger Zwerg ...«
    »Ich kenne dich«, sagte Utsch; sie legte ihre schwere Hand auf meinen Oberschenkel. »Du stehst auf ihre Sorte, auf den Knochen im Gesicht - die Lebensart, würdest du sagen.«
    »Er hat fast keinen Hals«, sagte ich.
    »Er sieht sehr gut aus.«
    »Du findest ihn attraktiv?« fragte ich sie.
    »O ja, mehr als das. Und findest du sie auch attraktiv?«
    »O ja, mehr als das«, sagte ich. Ihre kräftige Hand drückte mich; wir lachten.
    »Weißt du was?« sagte sie. »Er macht die ganze Kocherei.«
    Ich würde sagen, daß Severin beim Zubereiten von Essen kein Wilder war - nur beim Essen. Nach dem Essen saßen wir in ihrem Wohnzimmer; ihr Sofa stand im Bogen um einen Kaffeetisch, wo wir Brandy tranken. Winter plünderte immer noch das Obst und den Käse, warf Trauben ein, zersäbelte Birnen - Brocken von Brie auf Brot und Klumpen von Gorgonzola. Er trank weiter seinen Tischwein, um auf seinen Brandy nachzuspülen. Utsch war schläfrig. Sie legte ihren bloßen Fuß auf den Tisch, und Winter ergriff ihn am Knöchel und betrachtete ihre Wade, als sei sie auszuhebendes Fleisch.
    »Seht euch dieses Bein an!« rief er. »Seht euch den Umfang der Fessel an, die Breite des Fußes!« Er sagte zu Utsch etwas auf deutsch, das sie zum Lachen brachte; sie war überhaupt nicht böse oder verlegen. »Seht euch diese Wade an. Aus diesem Holz sind Bauern geschnitzt«, sagte Winter. »Das ist der Fuß der Acker! Das ist der Fuß, der die Armeen hinter sich ließ!« Er sprach weiter deutsch; er billigte eindeutig Utschs stämmigen Körper. Sie war kleiner als er - nur ein Meter fünfundsechzig groß. Sie war rundlich, breithüftig, vollbrüstig, mit einer Wölbung am Bauch und muskulösen Beinen. Utsch hatte ein Hinterteil, auf dem ein Kind sitzen konnte, wenn sie stand, aber sie hatte kein Fett an sich; sie war zäh. Sie hatte jenes breite Gesicht Mitteleuropas: hohe Wangenknochen, ein wuchtiges Kinn und einen breiten Mund mit dünnen Lippen.
    Utsch sprach deutsch mit Severin; es war angenehm, ihrem singenden Wiener Dialekt zuzuhören, doch ich wünschte, ich könnte sie verstehen. Als er ihr Bein losließ, ließ sie es auf dem Tisch liegen.
    Ich griff zur Kerze und gab Edith Feuer, dann mir selbst. Weder Utsch noch Severin rauchten. »Ich höre, Sie schreiben«, sagte ich zu Edith.
    Sie lächelte mich an. Natürlich wußte ich da, woher ihr Lächeln stammte und wohin wir uns alle bewegten. Ich hatte zuvor nur ein ebenso zuversichtliches Lächeln wie Ediths gesehen, und Ediths Lächeln war noch unbekümmerter und verlockender als das auf der Postkarte von dem Engel namens »Das Lächeln von Reims«.

2.
Kundschafterberichte: Edith
(Klasse bis 57 Kilo)
    Edith Fuller verließ die Prep School in der obersten Klasse, um mit ihren Eltern nach Paris zu gehen.
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