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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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um sie kümmerte. Was er ihr in der Mappe mitgab, war Reklame für sie selbst.
    Maler und Galeriedirektoren und Theaterintendanten sagten zu Katrina: »Ah, Sie sind hier das Modell, nicht wahr?«
    »Ich bin die Frau des Malers«, sagte sie dann. »Ich bin Schauspielerin.«
    Und sie sagten: »Ja, aber auf diesen Gemälden und Zeichnungen, da sind sie das Modell, richtig?«
    »Ja.«
    Und trotz ihres Neunmonateumfangs, der Severin Winter war, sahen sie sie anerkennend an. Man kümmerte sich gut um sie.
    Severin wurde im April 1938 in einem guten Krankenhaus in London geboren. Ich war auf der Party zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag und hörte zufällig, wie er Utsch, als er völlig betrunken war, erzählte: »Mein Vater war ein miserabler Maler, wenn du's genau wissen willst. Aber in anderer Hinsicht war er ein Genie. Außerdem wußte er, daß meine Mutter eine miserable Schauspielerin war, und er wußte, wir würden in London alle verhungern, wenn wir zusammen dort hingingen. Also setzte er meine Mutter ins beste Licht, in dem er sie sich vorstellen konnte, und entfernte sich aus dem Gesamtbild. Und es war auch ihr bestes Licht«, sagte er zu Utsch. Er legte die Handfläche flach auf Utschs Bauch, ein Stückchen unter dem Nabel. Er war betrunkener, als ich ihn je gesehen hatte. »Und es ist bei uns allen das beste Licht, wenn du's genau wissen willst.« Damals war ich erstaunt, daß Utsch ihm beizupflichten schien.
    Severins Frau Edith hätte ihm nicht beigepflichtet. Sie hatte zartere Knochen. Sie war die schickste Frau, die ich je gekannt habe. Sie - und was man sich von ihr vorstellte - hatte so viel natürlichen, guten Geschmack, daß es stets ein Schock war, Severin neben ihr zu sehen, der wie ein tapsiger, schlecht dressierter Bär neben einer Tänzerin aussah. Edith war eine ungezwungene, hochgewachsene, anmutige Frau mit sinnlichem Mund und den überzeugendsten, reifsten Bewegungen in ihren knabenhaften Hüften und langfingrigen Händen; sie hatte schlanke, seidige Beine, war so klein- und hochbrüstig wie ein junges Mädchen und ebenso achtlos mit ihrem Haar. Sie trug alle ihre Kleider so lässig, daß man sie sich darin schlafend vorstellen konnte, bloß daß man sich lieber erst gar nicht vorstellte, sie schliefe in irgendwelchen Kleidern. Als ich sie kennenlernte, war sie fast dreißig - seit acht Jahren die Frau von Severin Winter, der seine Kleider so trug, als seien sie alle härene Hemden von der falschen Größe; ein Mann, dessen Kleinheit einen wegen seiner Breite oder dessen Breite einen wegen seiner Kleinheit verblüffte. Er war ein Meter siebzig groß und vielleicht neun Kilo über seiner früheren 71-Kilo-Gewichtsklasse. Seine Rücken- und Brustmuskeln wirkten wie in Platten übereinandergeschichtet. Seine Oberarme schienen dicker zu sein als Ediths herrliche Oberschenkel. Sein Hals war eine Belastungsprobe für das bestgemachte Hemd der Welt. Er kämpfte gegen einen kleinen, fast unmerklichen Bauch, in den ich ihn gern knuffte, weil er ihm so bewußt war. Er fühlte sich so stramm und zähledrig an wie ein Football. Er hatte einen wuchtigen, helmförmigen Kopf mit einer dichten, dunkelbraunen Haarmatte, die auf seinem Kopf saß wie die Strickmütze eines Skifahrers und wie eine geschorene Mähne knapp über die Ohren quoll. Er hatte ein Blumenkohlohr, und das verbarg er gern. Er hatte ein keckes Jungenlächeln, einen kräftigen Mund mit weißen Zähnen, darunter einen eigenartigen, schiefgeschlagenen unteren Zahn - aus dem, fast bis aufs Zahnfleisch, ein keilförmiger Splitter herausgebrochen war. Seine Augen waren groß und braun und standen weit auseinander, und auf seinem Nasenrücken war ein Knubbel, der nur auffiel, wenn man links von ihm saß, und, wo seine Nase ein weiteres Mal gebrochen gewesen war, eine Delle, die man nur sah, wenn man ihn direkt von vorn anblickte. Er sah nicht nur wie ein Ringer aus, sondern das Ringen war für ihn eine ständige Metapher - häufig eine gemischte, da er sowohl romantisch als auch praktisch veranlagt war. Seine Gebärden waren die eines dressierten Wilden; er war grob und ritterlich; er hielt viel auf Würde, wirkte aber oft lächerlich fehl am Platze. Bei unseren Fakultätskonferenzen stand er im Ruf zweisprachiger Beredsamkeit, einer streitbaren Überzeugung, daß das Bildungswesen den Dilettanten und »Gegenwartsaposteln« anheimfalle, des Grundsatzes, daß die »Kenntnis der elenden Vergangenheit« unerläßlich sei und daß für jeden
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