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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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Weltkrieges. Wie schmeichelhaft für einen Engel! Wie bizarr für eine Skulptur! Den Verlust von Kunstwerken für etwas Ähnliches zu halten wie die Vergewaltigung, Verstümmelung und Ermordung von Französinnen und Belgierinnen durch die boches! Der einer Statue namens »Das Lächeln von Reims« zugefügte Schaden läßt sich mit dem Aufspießen von Kindern auf Bajonette nicht ganz vergleichen. Die Menschen achten die Kunst zu hoch und die Geschichte nicht genug.
    Ich sehe Severin Winter - diesen schmalzigen Liebhaber, diesen Opernnarren - immer noch vor mir, wie er in seinem von Pflanzen überwucherten Wohnzimmer stand wie ein gefährliches Tier, das einen botanischen Garten durchstreift, und zuhörte, wie Beverly Sills Donizettis ›Lucia‹ sang.
    »Severin«, sagte ich, »du verstehst sie nicht.« Ich meinte Utsch.
    Aber er hörte nur Lucias Wahnsinn. »Ich finde, Joan Sutherland bringt diese Partie besser«, sagte er.
    »Severin! Wenn diese Russen nicht versucht hätten, die Kuh wegzuschaffen, wäre Utsch dringeblieben.«
    »Sie hätte Durst bekommen«, sagte Severin. »Dann wäre sie rausgeklettert.«
    »Sie hatte bereits Durst«, sagte ich. »Du kennst sie nicht. Wenn dieser Russe den Stall niedergebrannt hätte, wäre sie geblieben.«
    »Sie hätte gerochen, daß der Stall brennt, und hätte zu entkommen versucht.«
    »Und wenn sie gerochen hätte, daß die Kuh brät«, sagte ich, »Utsch wäre geblieben, bis sie selber gar gewesen wäre.«
    Aber Severin Winter glaubte mir nicht. Was kann man von einem Ringertrainer schon erwarten?
    Seine Mutter war Schauspielerin, sein Vater war Maler, sein Trainer sagte, er hätte ein Großer werden können. Vor mehr als zehn Jahren war Severin Winter bei den Big-Ten-Meisterschaften auf der Michigan State University Zweiter in der Klasse bis 71 Kilo. Er rang für die University of Iowa, und Zweiter bei den Big Ten war das Höchste, was er bei einem größeren Wettkampf oder einer Landesmeisterschaft je erreichte. Der Mann, der ihn im Finale der Big-Ten-Meisterschaft besiegte, war ein magerer, raffinierter Spezialist für Beingriffe namens Jefferson Jones von der Ohio State; er war ein Schwarzer mit einem knöchelharten Schädel, Handflächen von der Farbe blauer Flecken und einem Paar Knie wie Türknäufe aus Mahagoni. Severin Winter sagte, Jones habe eine Beinklammer so hart ansetzen können, daß man überzeugt gewesen sei, sein Becken habe jene seltsam weit auseinanderstehenden, spitzen Knochen eines Frauenbeckens. Wenn Jones einen mit einem Einsteiger mit Halbnelson -zugewandtes Bein doppelt gehakelt, abgewandter Arm im Halbnelson - herumgerissen habe, behauptete Severin, habe er einem irgendwo nahe der Wirbelsäule die Blutzirkulation abgeschnitten. Und nicht einmal Jones war gut genug für eine Landesmeisterschaft; er gewann nie eine, obwohl er zwei Jahre hintereinander Meister der Big Ten wurde.
    Severin Winter kam einem Landesmeistertitel niemals nahe. In dem Jahr, in dem er Zweiter bei den Big Ten wurde, kam er bei den nationalen Titelkämpfen auf Platz sechs. Er wurde im Halbfinale vom Titelverteidiger von der Oklahoma State geschultert und im zweiten Durchgang der Trostrunde von einem künftigen Geologen von der Colorado School of Mines erneut geschultert. Und beim Kampf um den fünften Platz verlor er gegen Jefferson Jones von der Ohio State wiederum eindeutig nach Punkten.
    Ich verbrachte einmal einige Zeit mit dem Versuch, mit den Ringern zu sprechen, die Severin Winter besiegt hatten; mit einer Ausnahme erinnerte sich keiner von ihnen daran, wer er war. »Na ja, man erinnert sich nicht an jeden, den man besiegt hat, aber man erinnert sich an jeden, der einen selbst besiegt hat«, sagte Winter gern. Doch ich stellte fest, daß Jefferson Jones, Ringertrainer an einer High-School in Cleveland, sich sehr gut an Severin Winter erinnerte. Insgesamt hatte Winter in einem Zeitraum von drei Jahren fünfmal gegen Jefferson Jones gerungen; Jones hatte ihn jedesmal besiegt.
    »Der Junge ist einfach nicht an mich rangekommen, wissen Sie«, sagte Jones zu mir. »Aber er war einer von denen, die ständig angriffen. Er griff einen einfach ständig an, wenn Sie wissen, was ich meine. Man drückte ihn in die Bauchlage, und er strampelte sich ab wie ein steifer alter Hund, um wieder auf Hände und Knie zu kommen. Man drückte ihn einfach wieder in die Bauchlage, und er kam wieder hoch. Er griff einfach ständig an, und ich hab einfach ständig die Punkte gemacht.«
    »Ja, aber
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