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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Vorbemerkung
    Mein ursprünglicher Plan für diesen Sommer war recht einfach: Ich wollte die schönen Tage des Jahres bei der Hamas in Gaza verbringen. Schon letztes Jahr hatte ich dort hinfahren wollen, doch es kam nicht dazu. Erst sagten mir die Palästinenser, ich sei willkommen, während die Israelis sagten, sie würden mich nicht über die Grenze lassen. Als die Israelis dann ihre Meinung änderten, änderten die Palästinenser ihre auch. Das ist in dieser Gegend normal. Dieses Jahr habe ich daher beschlossen, gar nicht erst zu fragen, damit niemand mehr solche Spielchen mit mir spielen kann.
    Ich war bestens vorbereitet. Ich hatte mir sogar die privaten Telefonnummern einiger führender Hamas-Vertreter geben lassen. Sie würden mir, einem guten Deutschen, ganz sicher helfen, sollte ich auf der anderen Seite der Grenze in Schwierigkeiten geraten.
    Bin ich ein Deutscher, ein guter gar? Eigentlich nicht. Aber wann immer ich mich in arabischen Landen aufhalte, behaupte ich, ich sei Deutscher. Mit Philosophie oder Politik hat das rein gar nichts zu tun, nur mit meinem Selbsterhaltungstrieb. Als ich nämlich in Jordanien einmal einen meiner Gastgeber fragte, was er täte, wenn ich ein Jude wäre, zögerte er keine Sekunde und antwortete, er würde mich auf der Stelle töten. Daraus zog ich meine Lehre und bin seit diesem Tage ein Deutscher.
    Meine arabischen Freunde, Christen wie Muslime, lieben mich dafür. »Ihr seid gute Leute«, sagen sie mir. »Was ihr Deutschen mit den Juden gemacht habt, war echt gut.«
    Es gibt dabei jedoch ein kleines Problem. Ich bin kein Deutscher. Ich komme, unter uns gesagt, aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden. Der Großteil meiner Familie, der meines Vaters und der meiner Mutter, starb im Krieg. Auf deutschen Befehl. Mein Vater war noch ein Baby, als er aus Europa vertrieben wurde, meine Mutter überlebte im Konzentrationslager. Ich frage mich, was meine Eltern sagen würden, wenn sie wüßten, daß ich mich als Deutscher ausgebe.
    Was heißt es überhaupt, ein Deutscher zu sein?
    Hin und wieder habe ich versucht, mir darüber klarzuwerden. Zufälligerweise bin ich Journalist, und eine der Zeitungen, für die ich regelmäßig schreibe, ist Die Zeit . Durch sie habe ich einige deutsche Journalisten kennengelernt, allesamt hervorragende Leute, von denen mir aber nur die wenigsten bei der Frage weiterhelfen konnten, was es heißt, »ein Deutscher« zu sein. Zufälligerweise bin ich auch noch Bühnenautor und Regisseur, was mich einige Male nach Deutschland führte, wenn meine Stücke hier aufgeführt wurden. Auch bei diesen Gelegenheiten war die Zahl der Bekanntschaften zu gering, um die »deutsche Mentalität« zu erfassen, falls es so etwas gibt. Wie dem auch sei, eines weiß ich: Deutschland hat vielleicht meine Vorfahren umgebracht, mir aber rettet es gelegentlich das Leben. Das ist mein persönlicher kleiner »Deutschlandkomplex«, vermute ich mal.
    Wie ich so über diesen Komplex nachdenke, ruft mich eine junge Dame aus einem deutschen Verlag an. Sie fragt mich, ob ich nach Deutschland kommen, ein paar Monate durchs Land reisen und ein Buch über meine Erfahrungen schreiben möchte. Es solle kein Forschungsbericht werden und auch kein Reiseführer. Nein, nein. Sie stelle sich vielmehr eine Sammlung erster Eindrücke vor. Meiner ersten Eindrücke. Wie ich es sehe. Meine Gedanken. Ein Jude aus New York besucht Deutschland.
    Vielleicht, weil ich so oft »ich bin Deutscher« gesagt habe, träume ich seit einiger Zeit davon, mir eines Tages ein kleines Haus in Berlin zu kaufen. Ein Deutscher wie ich sollte in der Hauptstadt residieren, finden Sie nicht auch? Und wenn ich das Angebot der Dame annehme, was mit einem mehrmonatigen Aufenthalt in Deutschland verbunden ist, entwickle ich vielleicht ein Gefühl dafür, wie es so ist, in Deutschland zu leben –
    Okay, junge Lady, ich komme!

Kapitel 1   In dem einer, der Cola light mit Eis trinkt, wohl ein amerikanischer Kapitalist sein muß
    Mein Büro liegt mitten in Manhattan, direkt gegenüber der Penn Station, einer stark von Touristen frequentierten Gegend. Was liegt da zur Vorbereitung auf meine Deutschlandreise näher, als mit ein paar deutschen Touristen zu schwatzen? Vielleicht können sie mir ja das eine oder andere über ihre Kultur beibringen.
    Europäer sind im allgemeinen politisch interessierter als Amerikaner. Sie lassen sich liebend gerne auf Gespräche und Debatten über Politik ein, und die Deutschen bilden da
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