Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn meines Feindes

Der Sohn meines Feindes

Titel: Der Sohn meines Feindes
Autoren: France Carol
Vom Netzwerk:
Der Sohn meines Feindes
    Tomek zog die Schultern hoch und fasste seinen Kragen zusammen. Der Nieselregen durchnässte seine Kleidung langsam aber stetig, bis er die Feuchtigkeit auf der Haut spüren konnte. Ein wahrlich passendes Wetter für eine Beerdigung. Die Erde, die neben dem Urnengrab aufgehäuft war, glich eher einer Schlammmasse. Ebenfalls passend! Ein Schlammpfuhl für das Dreckschwein, das hier seine letzte Ruhestätte fand! Nichts anderes hatte dieser Hundesohn verdient.
    Aus dem Augenwinkel schielte Tomek zu dem Kerl hinüber, der ebenfalls in Gedanken versunken in das ausgehobene Urnenloch starrte. Luca hatte sich in den letzten zehn Jahren zwar verändert, aber Tomek hatte ihn sofort wiedererkannt. Es waren diese stets etwas melancholisch wirkenden Augen, die Tomek bereits damals an Luca aufgefallen waren. Er hatte rein äusserlich überhaupt keine Ähnlichkeit mit seinem Vater, worüber er seiner Meinung nach froh sein konnte. Dennoch trug er dessen Gene in sich, was für Tomek Grund genug war, auch Luca zu hassen. Schliesslich war er der Sohn dieser Drecksau! Und nun sollte er tatsächlich die nächsten vier Monate für Luca die Verantwortung tragen. Wie hatte er sich nur dazu überreden lassen können?
    Vor einer Woche hatte das Jugendamt mit ihm Kontakt aufgenommen, um ihn zu unterrichten, dass sein ehemaliger Stiefvater verstorben sei und man für Luca bis zu dessen Volljährigkeit einen Vormund suchte. Da Luca in knapp vier Monaten endlich als erwachsen galt, wollte man sich nicht mehr zu viel Arbeit machen und hatte nach Verwandten gesucht, jedoch keine gefunden. Tomeks Einwand, dass er mit Luca überhaupt nicht blutsverwandt sei, hatte man rigoros überhört. Er hatte zuerst abgelehnt, doch Erwin, sein Mitbewohner, hatte ihm ins Gewissen geredet und so erklärte er sich schlussendlich bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Nun bereute er es aber schon, denn wenn er Luca ansah fühlte er den Hass, den er seit mehr als zehn Jahren in sich trug, wieder aufkommen.
    Erneut blickte Tomek zu Luca hinüber, der immer noch wie eine Salzsäule dastand. Ob er wohl um seinen Vater trauerte? Man konnte dem kleinen Kerl nichts ansehen. Das war auch früher schon der Fall gewesen. Luca war darin ein Meister gewesen, sich beinahe unsichtbar zu machen, weshalb wohl Tomek immer die ganze Wut von dessen Vater abbekommen hatte.
    Ein Geräusch hinter ihm veranlasste Tomek sich umzudrehen. Zwei Friedhofsgärtner, gestützt auf ihre Schaufeln, warteten darauf, dass sie endlich das Loch zuschütten konnten. Tomek räusperte sich und sagte schliesslich: „Wir sollten gehen. Die Gärtner wollen ihre Arbeit verrichten.“
    Luca blickte ihn zum ersten Mal direkt an. In seinen Augen lag Schmerz und … Verzweiflung? Wer konnte das schon wissen, Tomek auf jeden Fall nicht. Mit einem Nicken liess Luca Tomek wissen, dass er ihn verstanden hatte und drehte sich um. Langsam und mit hängenden Schultern suchte er den Weg zwischen den anderen Gräbern in Richtung Ausgang. Tomek folgte ihm, wobei er sich erneut verfluchte, dass er sich hierauf eingelassen hatte.
    ***
    Er dirigierte Luca zu seinem Auto und fuhr mit ihm zu der Wohnung, in der dieser mit seinem Vater gewohnt hatte. Es war immer noch dieselbe Adresse. Als Luca die Tür aufschloss, schlug Tomek ein bekannter Geruch entgegen. Alkohol, Rauch, Schweiss und Dreck. Anscheinend hatte sich in den vergangenen Jahren gar nichts geändert! Er rümpfte angewidert die Nase und sah sich um. Es sah genauso aus, wie es roch. Im Wohnzimmer angekommen setzte sich Luca auf das abgewetzte Sofa, faltete die Hände zwischen den Knien und sah abwesend vor sich hin.
    „Brauchst du Geld?“, fragte Tomek.
    Luca hob den Kopf. „Wieso fragst du das?“
    Tomek zuckte mit den Achseln. „Ich weiss ja nicht, ob du genügend Geld hast, um dir etwas zum Essen zu kaufen. Die Rechnungen komme ich einmal wöchentlich abholen, um die musst du dich also nicht kümmern. Sammle sie einfach und gib sie mir dann.“
    Verwirrt sah Luca Tomek an. „Du willst, dass ich hier wohnen bleibe?“
    „Was sonst? Glaubst du etwa, ich bezahle dir ein Hotelzimmer?“, antwortete Tomek gereizt.
    Trotzig blickte Luca ihn an. „Nein, aber ich werde keine weitere Nacht hier verbringen. Wenn du mich also nicht mit zu dir nehmen willst, dann lass uns mit dem Amt telefonieren, dass die mich irgendwo anders unterbringen.“
    „Wie stellst du dir das vor? Ich lebe nicht allein“, sagte Tomek verärgert.
    „Und ich bleibe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher