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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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Das waren die New Yorker Fullers, und mit dem Umzug war kein Streit verbunden; Edith freute sich wegzugehen, und ihr Vater sagte, sie solle ihre Zeit nicht mit Bildung vergeuden, wenn sie in Paris leben könne. Sie ging dort auf eine gute Schule, und als ihre Eltern nach New York zurückkehrten, beschloß sie, in Europa herumzureisen. Als sie in die Staaten zurückkehrte, um aufs College zu gehen, zeigte ihre Mutter Enttäuschung darüber, daß Edith »ihre natürliche Schönheit auf unnatürliche Weise unterdrücke, bloß um wie eine Schriftstellerin auszusehen«. Auf dem Sarah Lawrence College sah Edith zwei Jahre lang wie eine Schriftstellerin aus - was die einzige Reiberei mit ihren Eltern verursachte, die es je gab. Tatsächlich sah sie in Wirklichkeit so aus, als reise sie immer noch in Europa herum; daß sie Schriftstellerin war, hatte nichts damit zu tun. Als ihr Vater plötzlich starb, verließ sie das Sarah Lawrence und zog zu ihrer Mutter nach New York. Da sie keinen Grund sah, ihre Mutter noch mehr aufzuregen, nahm sie sich wieder der Pflege ihrer »natürlichen Schönheit«
    an und stellte fest, daß sie trotzdem noch schreiben konnte.
    Edith war dabei behilflich, ihrer Mutter einen Job zu finden - nicht daß irgendeiner von den New Yorker Fullers je einen Job gebraucht hätte, aber ihre Mutter brauchte etwas zu tun. Einer von Ediths Freunden leitete die Abteilung für Neuerwerbungen des Museum of Modern Art, und da sowohl Edith als auch ihre Mutter Möchtegern-Hauptfächler in Kunstgeschichte gewesen waren (keine von ihnen schloß je das College ab) und es in der Abteilung für Neuerwerbungen interessante ehrenamtliche Arbeit gab, ließ sich die Sache ohne weiteres einrichten.
    Alle Freunde von Edith hatten interessante Jobs der einen oder anderen Art. Sie hatte sich nie mit CollegeStudenten verabredet, als sie auf dem College war; sie gefiel und fand Gefallen an älteren Männern. Der Freund vom Modern war damals vierunddreißig; Edith war einundzwanzig.
    Sie verbrachte sechs Monate in New York und leistete ihrer Mutter Gesellschaft. Eines Abends forderte sie sie auf, sich mit ihr einen Film anzusehen, aber ihre Mutter sagte: »Ach, ich kann beim besten Willen nicht, Edith. Ich habe viel zuviel zu tun.« So fühlte Edith sich berechtigt, nach Europa zurückzukehren.
    »Bitte glaub nicht, du müßtest wie eine Schriftstellerin aussehen, Liebes«, sagte ihre Mutter zu ihr, aber darüber war Edith hinaus. In Paris hatten die Fullers von ihrem Europajahr-Aufenthalt noch Freunde; sie konnte ein Zimmer in jemandes schönem Haus haben; sie konnte schreiben; und nachts gäbe es interessante Dinge zu unternehmen. Sie war ein ernsthaftes junges Mädchen, das nie jemandem Sorgen gemacht hatte, sie ließ in Amerika keinen ernsthaften Freund zurück, und sie eilte nicht nach Europa, um einen kennenzulernen. Sie hatte nie einen ernsthaften Freund gehabt, und obwohl sie, wie sie mir später erzählte, tatsächlich gedacht hatte - im Hinterkopf, als sie New York verließ -, es sei vielleicht an der Zeit, »die Erfahrung zu machen, sich wirklich in jemanden zu verlieben«, wollte sie zuerst mit ihrer Schreiberei ein gutes Stück vorwärtskommen. Sie gab zu, daß sie keine Ahnung gehabt habe, wohin diese Schreiberei führen würde, ebensowenig wie sie sich »groß damit abgab, mir vorzustellen, wie dieser erste, wirkliche Liebhaber sein würde«. Sie hatte zuvor erst mit zwei Männern geschlafen, einer davon war der Mann, der beim Modern war. »Ich habe es nicht getan, um Mami den Job zu verschaffen«, erzählte mir Edith. »Sie hätte den Job von ganz allein gekriegt.« Er war verheiratet, er hatte zwei Kinder, und er sagte zu Edith, er wolle wegen ihr seine Frau verlassen. Edith hörte auf, mit ihm zu schlafen; sie wollte nicht, daß er seine Frau verließ.
    In Paris brauchte sie einen Tag, bis man sie auch schon einlud, das üppige Gästezimmer und Studio im Hause eines der Pariser Freunde ihrer Eltern so lange zu benutzen, wie sie Lust hatte zu bleiben. Bei ihrem ersten Einkaufsbummel kaufte sie sich eine luxuriöse Schreibmaschine mit französisch-englischer Tastatur. Sie sah zwar nicht wie eine Schriftstellerin aus, aber es war ihr mit einundzwanzig immerhin schon so ernst.
    Anfangs verbrachte sie eine Menge Zeit damit, die Briefe ihrer Mutter zu beantworten. Ihre Mutter war begeistert von all den Forschungsprojekten, die man ihr übertrug. Sie war dafür zuständig, »abzurunden«, was die Sammlung ›Moderne
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