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Karaoke

Titel: Karaoke
Autoren: Kaminer Wladimir
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    Buch:
     
    Neue Geschichten vom Autor der Bestseller »Russendisko« und »Mein deutsches Dschungelbuch«
    Musik und Geschichten gehören zusammen, seit in grauer Vorzeit das erste Lied angestimmt wurde. Aber wie kommt es, dass die besten Songs immer unter traurigen Lebensumständen entstehen - egal ob Blues, Rap oder die melancholischen Melodien aus dem russischen Norden, wo der Winter nie endet und die Balalaikas durch Holzlöffel ersetzt werden? Wieso können sich die Deutschen einfach keine Liedtexte merken? Und warum hält man hierzulande die Kosaken-Chöre für russische Volksmusik, obwohl es sie in Russland gar nicht gibt? Diesen und anderen Mysterien geht Wladimir hier auf den Grund - mit Humor, Witz und seinem unnachahmlichen Charme.
     
    »Wladimir Kaminer, so viel steht fest, ist ein großer Gewinn für die deutsche Literatur.«
    Süddeutsche Zeitung
     
    »Starke Nerven sollte auf jeden Fall haben, wer Kaminer in der U-Bahn oder im Cafe liest, weil sich die Leute dauernd nach dem hysterischen Gekicher umdrehen werden.«
     
    Brigitte
     
    WLADIMIR KAMINER
     
    Karaoke
     
    Vorwort zum Handbuch eines DJs
     
    Eine Revolutionslegende besagt, dass Lenin die Literatur und die bildende Kunst nicht leiden konnte, dafür aber ein großer Musikliebhaber war. Kurz bevor er starb, hatte Lenin geheime Anweisungen für die Genossen hinterlassen, die die sowjetische Kulturpolitik in der nächsten Zeit bestimmen sollten: »Angesichts des völligen Analphabetismus der Bevölkerung bleiben unsere wichtigsten Künste die Musik und der Zirkus«, stand dort schwarz auf weiß. Die Literaten und Maler erschossen sich oder gingen ins Exil. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, Volksorchester und Musikbrigaden zu gründen.
    In dieser Zeit entstanden epochale Musikwerke, die eine Mischung aus Musik und Zirkus darstellten. Eine »Rote Oper« mit Pferden, Vokalisten, Akrobaten und mehreren hundert Schauspielern fuhr von Moskau nach Turkistan und veranstaltete überall revolutionäre Open-Air- Konzerte. In Baku schuf der rote Komponist Avraamov eine Symphonie mit der ganzen Kaspischen Flotte und einer Blockflöte. An der Aufführung nahmen zwei Artillerie-Regimenter teil, eine Maschinengewehr-Brigade, mehrere Wasserflugzeuge und alle Hafenbetriebe der Stadt. Die Partitur dieses beeindruckenden Werkes las sich wie ein Wagner-Fiebertraum: Nach der fünften Salve des ersten ArtillerieRegiments setzten die Sirenen des dritten Hafenwerkes ein, nach der zehnten Salve begann das Stakkato der Maschinengewehre. Der Komponist selbst stand am Ufer und spielte dazu ein Solo auf seiner Blockflöte. Aus heutiger Sicht wirkt eine solche Inszenierung übertrieben, doch der Musikzirkus ist nach wie vor die volksnaheste Kunst, Beispiel Musikantenstadl.
    Das Theater ist elitär und kopflastig: Je revolutionärer die Theatermacher, desto spießiger ihre Kunst. Die Bücher sind meistens dick, nicht illustriert und preisgebunden, das Fernsehen macht auf Dauer dumm und schläfrig. Nur die Musik und der Zirkus halten die Bürger wach.
    Die erste Musik meines Lebens kam aus einem Radio empfänger in der Küche, der so hoch an der Wand hing, dass ich ihn nicht einmal auf einem Hocker stehend ausschalten konnte. Dieses Radio ging mir furchtbar auf die Nerven. Als Kind musste ich früh aufstehen, damit meine Eltern mich im Kindergarten abgeben und zur Arbeit gehen konnten. Draußen war es noch dunkel, wenn das Radio um sechs Uhr von alleine zu spielen anfing, zuerst kam die sowjetische Hymne, dann folgten aufdringliche Melodien zur Einstimmung der Bevölkerung auf den Arbeitstag, und um sieben kam die humoristische Sendung Bleib gesund!, deren Moderator von unserem ganzen Kindergarten-Kollektiv aus vollstem Herzen gehasst wurde. Doch egal, wie sehr wir diesen Musikzirkus verabscheuten, er hielt uns wach.
    Später war es dann die Rockmusik auf Underground-Konzerten, die mich aus dem Dornröschenschlaf eines sowjetischen Schülers riss. Und noch später spielte, egal was ich machte und wohin ich ging, immer irgendeine Musik im Hintergrund. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann ich ein DJ wurde. Denn wer bleibt immer wach, wenn die anderen schlafen? Wer tanzt, wenn die anderen stehen und liegen, wenn sie nicht mehr können, wenn sie sich besaufen und umfallen, wenn sie nach Hause gehen? Der DJ ist Herr über den Musikzirkus der Gegenwart. Diese Leute sind Helden der Arbeit, manche können drei Tage hintereinander ohne Pause auflegen. Was, spielt dabei
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