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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO
Autoren: Peter Mayle
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hatte, sich im Schneckentempo fortbewegte und sich leise unterhielt. Der Alkoholkonsum des letzten Abends hatte natürlich sein Scherflein dazu beigetragen, doch vor allem verdarb ihnen der Gedanke an die bevorstehende Konfrontation die gute Laune. Es ist eine Sache, einen Menschen als Gauner und Lügner zu entlarven, aber es steht auf einem ganz anderen Blatt, ihm die Wahrheit unverblümt ins Gesicht zu sagen. Würde er unter der Last der Beweise zusammenbrechen und gestehen? Oder leugnen und die Polizei rufen? Die Nerven verlieren und mit Flaschen nach ihnen werfen? Keiner von ihnen verspürte Lust, auf diese oder jene Reaktion Wetten abzuschließen.
    Sie gelangten zu dem Haus am Cours Xavier Arnozan, als in der Ferne eine Kirchturmglocke zehn Uhr schlug. Charlie straffte die Schultern, rückte seine Fliege zurecht und klopfte an die Tür. Man hörte Schritte den Korridor entlangeilen, dann wurde die Tür von einem jungen Mann mit dunklem Anzug, untersetzter Statur und ausdrucksloser Miene geöffnet.
    »Mr. Fitzgerald erwartet mich.« Charlies Stimme klang fest und zuversichtlich, trotz seiner Überraschung.
    Der junge Mann ließ sich weder zu einem Lächeln noch zu einer Antwort hinreißen, sondern trat schweigend einen Schritt zurück, um sie eintreten zu lassen, bevor er sie durch den Korridor in den Probierraum brachte.
    Der lange Mahagonitisch war bis auf einen Aschenbecher leer. Hinter dem Tisch stand ein einziger Stuhl, der von einem älteren Mann mit hohlwangigem Gesicht und Bürstenhaarschnitt eingenommen wurde. Auch er trug einen dunklen Anzug. Während sie beobachteten, wie er mit Bedacht eine Zigarette auswählte und anzündete, hörten sie Schritte hinter sich, und als sie sich umdrehten, sahen sie zwei uniformierte Polizisten, die sich rechts und links neben der Tür postierten. Der Mann hinter dem Schreibtisch runzelte die Stirn und sprach zum ersten Mal. »Ihr zwei könnt draußen warten«, sagte er zu den Polizisten und schnippte mit den Fingern. »Und macht die Tür hinter euch zu.«
    »Wo ist Mr. Fitzgerald?« Angriff ist die beste Verteidigung, sagte sich Charlie und fügte hinzu: »Das alles kommt mir sehr sonderbar vor.«
    Der Mann hinter dem Schreibtisch hob die Hand. »Wer von Ihnen spricht Französisch?« Max und Roussel nickten. »Gut. Sie werden, bitte sehr, für Ihre Kollegen dolmetschen. Mein Name ist Lambert. Inspektor Lambert.« Er stand auf und ging um den Tisch herum, hockte sich auf eine Ecke und blinzelte sie mit zusammengekniffenen Augen durch den Qualm seiner Zigarette an. »Wir erhielten gestern Informationen über Ihre... Aktivitäten, und ich muss sagen, dass wir hier in Bordeaux derlei Umtriebe alles andere als amüsant finden. Den guten Namen unserer Weine zu verunglimpfen, sich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen den Zutritt zu diesem Hause zu erschleichen, sich durch Betrug und Vertrauensbruch Vorteile zu verschaffen - das sind schwerwiegende Delikte, auf die hohe Strafen stehen.« Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und nahm wieder hinter dem Tisch Platz. »Hohe Strafen«, sagte er abermals mit Nachdruck, als er der Reihe nach in die erstarrten Gesichter vor ihm blickte.
    »Putain«, fluchte Roussel.
    »Verdammt«, sagte Charlie, der den Tenor, wenn auch keinesfalls den genauen Wortlaut von Lamberts Monolog erfasst hatte.
    »Ich kann Ihnen alles erklären«, sagte Max.
    * * *
    »Gott sei Dank, dass Sie angerufen haben, gerade noch rechtzeitig«, sagte Fitzgerald. »Ich hätte geschworen, dass er echt war: Alles deutete darauf hin, sein ganzes Verhalten, sein Vokabular. Und eine Order in der Größenordnung, vom anderen Ende der Welt, weit weg von Frankreich - alles schien perfekt. Ich hätte den Braten allerdings riechen müssen, als er den Preis anstandslos akzeptierte und nicht einmal versuchte zu feilschen. Aber irren ist menschlich.« Er zuckte mit den Schultern, dann hellte sich seine Miene auf. »Zum Glück war der Irrtum nicht fatal, und das verdanke ich Ihnen, meine Liebe. Trinken Sie einen Schluck Champagner, und verraten Sie mir, was genau Ihren Verdacht erregt hat. Unser letztes Gespräch verlief ja ein wenig hektisch.«
     
    Der Tisch gewährte Aussicht auf den ummauerten Garten des Hotel Bristol, eine grüne und erfrischende Oase in der Hitzewelle, die Paris gegenwärtig in einen Backofen verwandelte. Nathalie Auzet trank einen Schluck, bevor sie antwortete. »Das war mehr oder weniger Zufall. Wie Sie wissen, musste ich mit Roussel über die
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