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Gefährliche Begierde

Gefährliche Begierde

Titel: Gefährliche Begierde
Autoren: Tess Gerritsen
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1. KAPITEL
    Es war zehn Uhr, als er anrief. Wie immer. Noch bevor Miranda ans Telefon ging, wusste sie, dass er es war. Ebenso wie sie wusste, dass das Telefon, wenn sie es ignorierte, immer weiter läuten und sie wahnsinnig machen würde. Miranda lief nervös im Schlafzimmer auf und ab. Ich muss nicht dran gehen, dachte sie. Ich muss nicht mit ihm reden. Ich schulde ihm nichts; verdammt noch mal, gar nichts.
    Doch dann hörte das Klingeln plötzlich auf und es war unerwartet still. Sie hielt den Atem an und hoffte, dass er dieses Mal nachgegeben, dieses Mal verstanden hatte, dass sie ernst meinte, was sie zu ihm gesagt hatte. Als das Telefon erneut zu läuten begann, schreckte sie zusammen. Mit jedem Klingelton kam es ihr so vor, als ob jemand ihre Nerven mit Sandpapier bearbeiten würde.
    Miranda hielt es nicht länger aus. Doch schon als sie den Hörer in die Hand nahm, wusste sie, dass es ein Fehler war. »Hallo?«
    »Ich vermisse dich«, sagte er in dem vertrauten Flüsterton gemeinsam genossener Zweisamkeit.
    »Ich will nicht, dass du mich noch einmal anrufst«, entgegnete sie.
    »Ich kann nicht anders. Den ganzen Tag schon dachte ich an nichts anderes. Miranda, es war die Hölle ohne dich.« Tränen schossen ihr in die Augen. Sie versuchte, sie zurückzuhalten, und holte einmal tief Luft.
    »Können wir es nicht noch einmal probieren?« bat er fast flehentlich.
    »Nein, Richard.«
    »Bitte. Diesmal wird alles anders.«
    »Nichts wird sich ändern!«
    »Doch, es wird.«
    »Es war von Anfang an ein Fehler.«
    »Du liebst mich immer noch. Ich weiß, dass du mich liebst. Mein Gott, Miranda, dir seit Wochen täglich zu begegnen, ohne dich berühren zu dürfen. Oder wenigstens einmal alleine mit dir sein zu können.«
    »Das wirst du nicht mehr länger ertragen müssen, Richard. Du hast meine Kündigung. Ich meine es ernst.«
    Als hätten ihre Worte die Wirkung nicht verfehlt, folgte eine lange Pause. Das gab Miranda eine gewisse Genugtuung. Gleichzeitig quälte sie das schlechte Gewissen, weil sie es gewagt hatte, sich zu befreien, endlich wieder sie selbst zu sein.
    Da sagte er leise: »Ich habe es ihr gestanden.« Miranda reagierte nicht.
    »Hast du gehört?« fragte er, »ich habe ihr alles über uns erzählt, und ich war schon bei meinem Anwalt. Ich habe die Bedingungen meines …«
    »Richard«, unterbrach sie ihn leise, »es macht keinen Unterschied. Egal, ob verheiratet oder geschieden. Ich möchte dich nicht sehen.«
    »Nur noch einmal.«
    »Nein.«
    »Ich komme vorbei. Jetzt gleich …«
    »Nein!«
    »Wir müssen uns sehen, Miranda!«
    »Ich muss gar nichts«, schrie sie.
    »Ich bin in fünfzehn Minuten da.«
    Miranda starrte ungläubig auf das Telefon. Er hatte aufgelegt. Dieser verdammte Kerl hatte einfach aufgelegt und in einer Viertelstunde würde er an ihre Tür klopfen. Dabei hatte sie in den vergangenen drei Wochen tapfer durchgehalten. Sie hatte es geschafft, Seite an Seite mit ihm zu arbeiten und dabei höflich zu lächeln und ihrer Stimme einen neutralen Tonfall zu verleihen. Und nun war er auf dem Weg zu ihr, würde ihre mühsam aufgebaute Fassade der Selbstbeherrschung einreißen und dann wären sie wieder am selben Punkt, trudelten in dieselbe gemeine Falle, aus der sie sich gerade befreit hatte. Sie rannte zum Schrank und zerrte einen Pullover heraus. Sie musste weg hier. Irgendwohin, wo er sie nicht finden konnte. Irgendwohin, wo sie alleine war. Sie floh durch die Haustür, die Verandatreppen hinunter und begann schnell und entschlossen, die Willow Street entlang zu laufen. Es war erst halb elf. Doch die Nachbarn hatten sich bereits in ihre Häuser zurückgezogen. Durch die Fenster, an denen sie vorbei ging, schimmerte Licht. Sie sah die Silhouetten häuslicher Idylle und das Flackern eines Kaminfeuers. Da stieg das altbekannte Gefühl des Neids in ihr hoch und die Sehnsucht, ein Teil dieser heilen Welt zu sein und in der Glut des eigenen Kaminfeuers zu stochern. Alberne Träumerei!
    Fröstelnd verschränkte sie die Arme vor der Brust, dabei war es nicht einmal besonders kühl für diese Jahreszeit in Maine. Sie war wütend. Wütend, dass ihr kalt war und wütend, weil sie sich hatte aus ihrem Haus vertreiben lassen. Wütend auf ihn. Dennoch eilte sie weiter. Bei der Bayview Street schlug sie den Weg nach rechts zum Meer ein. Nebel zog von der Bucht herein. Er verdeckte die Sterne und kroch in düsteren Schwaden die Straße entlang. Sie lenkte ihre Schritte geradewegs in die aufziehenden
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