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Gefährliche Begierde

Gefährliche Begierde

Titel: Gefährliche Begierde
Autoren: Tess Gerritsen
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Grinsen auf seinem Gesicht, nur der Ausdruck blanken Entsetzens. Sein Mund war zu einem lautlosen Schrei geformt, und die aufgerissen Augen starrten auf ein schreckliches Bild jenseits der Ewigkeit. Ein Zipfel des Lakens hing Blut durchtränkt an der Seite des Bettes herunter. Es war still, bis auf das stetige Tröpfeln der purpurroten Flüssigkeit, die langsam auf den Boden triefte. Miranda schaffte kaum mehr als zwei Schritte ins Schlafzimmer, als die Übelkeit sie übermannte. Sie fiel auf die Knie, schnappte nach Luft und würgte. Erst als es ihr wieder gelang, den Kopf zu heben, entdeckte sie das Küchenmesser, das in der Nähe auf dem Boden lag. Sie brauchte nicht zweimal hinzusehen, um den Griff und die zwölf Zentimeter lange Stahlklinge zu erkennen. Sie wusste genau, woher es war. Es stammte aus dem Küchenschrank. Es war ihr Messer, und es würden ihre Fingerabdrücke darauf zu sehen sein. Und jetzt war es blutverschmiert.
    Chase Tremain fuhr durch die Nacht in die Morgendämmerung hinein. Der Rhythmus der Straße unter den Rädern, das Schimmern des beleuchteten Armaturenbretts, das Radio, das leise, kratzende Melodien von Muzak spielte; all das verband sich in der Ferne zu etwas mehr als dem verschwommenen Hintergrund eines Traums; eines sehr schlechten Traums. Es gab nur eine Wahrheit und das war die, die er ständig vor sich hin sagte, während er fuhr. Was er immer wieder in seinem Kopf wiederholte, während er den dunklen Highway hinunter raste.
    Richard ist tot. Richard ist tot.
    Er war bestürzt, sich diese Worte laut sagen zu hören. Lautstärke und Klang dieser in der Dunkelheit seines Wagens geäußerten Worte holten ihn kurzfristig aus seinem tranceähnlichen Zustand heraus. Er blickte auf die Uhr. Es war vier Uhr morgens. Er saß nun bereits seit vier Stunden in seinem Wagen. Die Grenze New Hampshire-Maine lag hinter ihm. Wie viele Stunden waren es noch? Wie viele Kilometer? Er fragte sich, ob es wohl kalt draußen war und ob man das Meer riechen konnte. Das Auto nahm den Sinnen jede Möglichkeit der Wahrnehmung. Es war zu einer verschlossenen Hölle aus grünen Lichtern und Fahrstuhlmusik geworden. Er schaltete das Radio aus.
    Richard ist tot.
    Er hatte diese Worte ständig im Ohr und spulte sie in Gedanken zurück bis zu der verschwommenen Erinnerung an den Anruf. Evelyn hatte sich nicht einmal damit aufgehalten, es ihm schonend beizubringen. Er hatte kaum begriffen, dass seine Schwägerin am Telefon war, als sie ihn auch schon mit der Nachricht konfrontierte. Ohne Vorrede und ohne Setz-dich-erst-einmal-hin-Warnung. Nur die kalten Fakten, präsentiert in Evelyns gewohntem Flüsterton. »Richard ist tot«, sagte sie zu ihm, »ermordet worden. Von einer Frau …«
    Und dann im nächsten Atemzug: Ich brauche dich, Chase. Diesen Teil der Nachricht hatte er nicht erwartet. Chase war der Außenseiter, der Tremain, den anzurufen man sich nicht die Mühe machte. Er war derjenige, der seine Sachen gepackt und der Stadt und Familie für immer verlassen hatte. Der Bruder mit der peinlichen Vergangenheit. Chase, der Ausgestoßene. Chase, das schwarze Schaf.
    Chase, der Erschöpfte, dachte er, während er den Schlaf abwehrte, der seine Fäden wie eine Spinne um ihn spann. Er öffnete ein Fenster und inhalierte die kalte Luft, die von draußen herein strömte, den Geruch von Pinien und Meer. Der Geruch von Maine, der ihm, wie nichts sonst auf der Welt, die Erinnerungen seiner Kindheit zurückbrachte, als er über die Felsen am Strand kletterte und bis zu den Knöcheln im Seegras stand. Frisch gesammelte Muscheln klapperten im Eimer gegeneinander. Das Geräusch des Nebelhorns. All das kam mit diesem Lufthauch zurück, dem Duft seiner Kindheit, gute Zeiten, die frühen Jahre, als er noch gedacht hatte, Richard sei der mutigste, cleverste und der allerbeste Bruder, den man nur haben konnte. Die Tage, bevor er Richards wahre Natur begriffen hatte.
    Ermordet. Von einer Frau.
    Der letzte Teil dieser Nachricht überraschte Chase nicht. Er fragte sich, wer sie war und was sie so zur Weißglut gebracht hatte, dass sie seinem Bruder ein Messer in die Brust gestoßen hatte. Oh, eigentlich war das leicht zu erraten. Eine unglückliche Liebesbeziehung. Das Verhältnis hatte sich getrübt. Eifersucht auf eine neue Geliebte. Die unvermeidliche Trennung. Gefolgt von der Wut, benutzt und betrogen worden zu sein. Eine Wut, die jegliche Logik, jeglichen Selbstschutz außer Kraft gesetzt hatte. Chase konnte sich das ganze
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