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Gefährliche Begierde

Gefährliche Begierde

Titel: Gefährliche Begierde
Autoren: Tess Gerritsen
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der gar nicht zu einem Mädchen passte, dass gerade seinen Vater verloren hatte.
    »Cassie«, sagte Evelyn. »Kannst du deinem Onkel keinen Kuss geben? Er hat den ganzen Weg auf sich genommen, um bei uns zu sein.«
    Cassie ging auf ihn zu und küsste ihn spitz und flüchtig auf die Wange, zog sich jedoch schnell wieder von ihm zurück, offenbar verlegen wegen dieser falschen Demonstration von Zuneigung.
    »Du bist wirklich groß geworden«, meinte Chase und das war das schmeichelhafteste Zugeständnis, was er ihr machen konnte.
    »Ja, das soll vorkommen.«
    »Wie alt bist du jetzt?«
    »Fast zwanzig.«
    »Also geht ihr beide aufs College.«
    Cassie nickte. Auf ihren Lippen lag das erste Anzeichen eines Lächelns.
    »Ich bin an der Universität von Southern Maine und studiere Journalismus. Es kann sein, dass der Herald demnächst jemanden benötigen wird, der …«
    »Phillip ist in Harvard«, unterbrach Evelyn sie. »So wie sein Vater.«
    »Cassie, wo gehst du hin?«
    »Ich muss meine Wäsche waschen.«
    »Aber dein Onkel ist gerade erst angekommen. Komm zurück und setzt dich zu uns.«
    »Warum denn Mama?« fauchte sie über die Schulter zurück. »Du kannst ihn wunderbar allein unterhalten.«
    »Cassie!«
    Das Mädchen drehte sich um und starrte sie verächtlich an. »Was?«
    »Du verhältst dich unmöglich.«
    »Das ist ja nichts Neues.«
    Den Tränen nahe wandte Evelyn sich an Chase. »Siehst du, wie die Dinge stehen? Ich kann nicht einmal mit meinen eigenen Kindern rechnen. Chase, ich komme mit dem Ganzen nicht zurecht. Ich kann einfach nicht mehr …« Sie unterdrückte ihr Schluchzen und verschwand im Wohnzimmer.
    Die Zwillinge sahen sich an.
    »Du hast es wieder einmal geschafft«, sagte Phillip. »Ein unpassender Zeitpunkt, um mit ihr zu streiten, Cassie. Tut sie dir denn gar nicht Leid? Kannst du denn nicht einmal versuchen, mit ihr auszukommen? Wenigstens für die nächsten Tage?«
    »Es ist ja nicht so, als würde ich mich nicht bemühen. Aber sie bringt mich auf die Palme.«
    »Okay, aber arbeite wenigstens an deinem Ton.« Er machte eine Pause, bevor er ergänzte: »Du weißt, dass Vater es so gewollt hätte.«
    Cassie seufzte. Resigniert stieg sie die Stufen hinunter, um ihrer Mutter ins Wohnzimmer zu folgen. »Ja, das bin ich ihm wohl schuldig …«
    Phillip schüttelte den Kopf, während er Chase ansah.
    »Das ist nur eine weitere Episode aus dem Leben der wundervollen Tremains.«
    »Geht das schon länger so?«
    »Seit Jahren. Die Vorstellung eben war typisch. Vielleicht denkst du, dass wir nach letzter Nacht … nach Vaters Tod zusammenhalten müssten. Aber stattdessen scheint es uns erst recht auseinander zu bringen.«
    Sie gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo sie Mutter und Tochter in den entgegengesetzten Enden des Sofas vorfanden. Beide Frauen schienen ihre Fassung zurückgewonnen zu haben. Phillip setzte sich zwischen sie und bestätigte so seine Rolle als menschliche Pufferzone. Chase nahm auf einem Sessel in der Ecke Platz, was seiner Vorstellung von einem neutralen Territorium schon eher entsprach.
    Die Sonne schien von der Meerseite hell durchs Fenster auf den glänzenden Holzboden. Die Stille wurde nur durch das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims unterbrochen. Auch hier sieht alles noch genauso aus wie früher, dachte Chase. Dieselben Tischchen und dieselben Queen Anne-Stühle. Es war genauso, wie er es aus seiner Kindheit erinnerte. Evelyn hatte nicht das Geringste verändert. Dafür war er ihr dankbar. Dann wagte er einen Vorstoß, um die angespannte Stille zu unterbrechen. »Ich bin auf meinem Weg durch die Stadt am Verlag vorbeigekommen«, sagte er. »Es hat sich nichts verändert.«
    »Genauso wenig wie die Stadt«, erwiderte Phillip.
    »Ja, alles so aufregend wie immer«, ergänzte seine Schwester sarkastisch.
    »Gibt es schon Pläne für den Herald?« fragte Chase.
    »Phillip wird ihn nun übernehmen«, sagte Evelyn. »Es wird sowieso Zeit. Ich brauche ihn zu Hause, jetzt wo Richard …« Sie schluckte und blickte zu Boden. »Er ist bereit für den Job.«
    »Ich bin nicht sicher, Mama«, warf Phillip ein. »Ich bin erst im zweiten Semester, und da gibt’s auch noch ein paar andere Dinge, die ich gerne …«
    »Dein Vater war zwanzig, als dein Großvater ihn zum Redakteur machte. Stimmt’s, Chase?« Chase nickte.
    »Also gibt es gar keinen Grund, weshalb du nicht gleich an die Spitze rücken könntest.«
    Phillip zuckte mit den Achseln. »Jill Vickery macht ihre Sache doch
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