Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
Gute Freunde

    Es war das Jahr, in dem die Deutschen einen Papst nach Rom schickten, um sich an den Italienern für Trapattoni zu rächen. Bayer gegen Fußballtrainer. Trotz seiner Nervosität prustete Proteo Laurenti vor Lachen, als er im Autoradio hörte, wie der oberste Rockträger mahnte, daß die katholische Kirche keine aufgewärmte Gemüsesuppe sei. Wenigstens stimmte die Grammatik.
    Laurenti drehte den Ton leiser und passierte mit dem brandneuen Wagen seiner Frau, einem blauen Fiat Punto, den kleinen Grenzübergang bei Prebenico unterhalb der Burg Socerb, dessen Schlagbäume offenstanden. Kein Zöllner war weit und breit zu sehen, er hätte also auch seinen Dienstwagen nehmen können und Laura keine faule Ausrede servieren müssen, damit sie ihm ihr Auto lieh. In einer Viertelstunde würde er sich mit Živa Ravno treffen, der kroatischen Staatsanwältin aus Pula. Fast vier Jahre dauerte ihre Affäre inzwischen, Laurenti überschlug die Zeit und wurde immer nervöser. Die über fünfzehn Jahre jüngere Frau hatte sich seit Monaten rar gemacht und endlich, nachdem er sie erst lange am Telefon hatte becircen müssen, einen Treffpunkt in einem kleinen Tal auf der slowenischen Seite vorgeschlagen, wo der graue Kalkstein des Karsts in fruchtbaren Boden überging und Obstbäume wie Rebstöcke üppig wuchsen.
    »Die kleine Wehrkirche von Hrastovlje«, hatte sie gesagt, »ich will, daß wir uns dort treffen.« Laurenti wiederholte ihre Worte, während er den Fiat über die kleine kurvige Straße prügelte. Bei aller Rationalität, die Živa in ihrem Beruf auszeichnete, hatte sie durchaus Sinn für theatralische Gesten. »Diese Kirche ist die Bibel des einfachen, leseunkundigen Volkes. Unglaublich schöne Fresken aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die das Alte und das Neue Testament darstellen. Und einen Totentanz, der ans Herz geht. Du solltest dich schämen, daß du noch nie dort warst in den dreißig Jahren, die du in Triest lebst! Es liegt direkt hinter der Grenze.«
    »Und warum ausgerechnet dort?« hatte Laurenti gefragt. »Warum treffen wir uns nicht wie früher einfach in einem Hotel an der Küste?«
    Živas Lachen, bevor sie antwortete, klang unecht. »Mir ist nicht danach. Hrastovlje paßt besser zu dem, was ich dir zu sagen habe.« Bevor Laurenti nachfragen konnte, hatte sie das Gespräch unter dem Vorwand, einen dringenden Termin zu haben, beendet.
    Während der Küstenstreifen unter der Sonne glitzerte, waren über den Hügeln des istrischen Hinterlands schwere Gewitterwolken aufgezogen. Den Glockenturm mit dem Pyramidendach, der über die starken Festungsmauern mit den Resten der mächtigen Wehrtürme hinausragte, sah Laurenti schon aus der Ferne. Obgleich er zehn Minuten zu spät war, stand kein anderer Wagen auf dem Parkplatz am Fuß des Hügels, auf dem das Kirchlein thronte. Laurenti schloß den Fiat ab und schaute sich um. Živa war im Gegensatz zu ihm bislang stets pünktlich. Laurenti wählte auf seinem Mobiltelefon das slowenische Netz und ging widerstrebend den kleinen Weg hinauf. Ratlos stand er vor dem schweren schmiedeeisernen Tor, das mit einem riesigen Vorhängeschloß versperrt war. Unter dem Symbol eines mit einem dicken roten Balken durchgestrichenen Fotoapparats hing ein kleines zweisprachiges Schild mit der Telefonnummer des Kirchenwärters. Erste schwere Tropfen fielen vom Himmel, und Laurenti beschloß, nicht auf Živa zu warten. Eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung sagte, sie sei in fünf Minuten da, um ihn einzulassen. Er überlegte kurz, ob er besser in der Gostilna, die er weiter unten gesehen hatte, warten sollte, drückte sich dann aber eng an die Tür, um unter dem steinernen Torbogen wenigstens ein bißchen Schutz vor dem Gewitterschauer zu finden.
    Wie lange hatten sie sich nicht gesehen? Laurenti versuchte, sich an das Datum ihres letzten Treffens zu erinnern. Es lag genau zwei Monate und vier Tage zurück, und sie hatten nicht einmal miteinander geschlafen. Živa war nervös gewesen und schien mit den Gedanken woanders, ihre Hand hatte sie immer wieder zurückgezogen, wenn er sie fassen wollte. Sie hatten sich, nach einem Termin Živas mit dem Oberstaatsanwalt von Triest, für die Mittagszeit in Koper verabredet. Jahrzehntelang war die kleine Nachbarstadt auf der anderen Seite der Grenze ein fester Anlaufpunkt jener aufmerksamen Familienväter gewesen, die für zwei Stunden über Mittag auch ihre Sekretärinnen nicht vernachlässigen wollten. Laurenti hatte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher