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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition)
Autoren: Ippolito Nievo
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Mann auf sein Leben zurück, das 1775 in Venedig begonnen hat, und wenn er gleich im ersten Satz sagt, er sei als Venezianer geboren und hoffe, als Italiener zu sterben, dann ist darin der Weg enthalten, den er zurückgelegt hat. Aus der untergegangenen Republik Venedig stammend, hat er sein Vaterland verloren und will nun durch die Erzählung seines langen Lebens, das die Brücke von der napoleonischen Ära ins Risorgimento schlägt, den Begriff «patria »mit neuem Inhalt füllen. Dieser neue Inhalt aber ist noch Zukunft, seine Hoffnung auf das neue Vaterland«Italien»ist 1858/59 noch eine kontrafaktische Hoffnung, eine Leerstelle. Aber die Leerstelle«Italien»ist in Nievos Hauptwerk der perspektivische Fluchtpunkt, nicht anders als es der Untergang der Republik Venedig im Romanerstling Angelo di bontà war. Zwischen dem Ende der Republik Venedig aber und der Hoffnung auf Italien gibt es in Nievos literarischem Werk wie in seinen politischen Überzeugungen einen engen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang lässt sich etwa so formulieren: Venedig war ein Staat ohne Zukunft, weil in der modernen Welt nur Völker einen lebensfähigen Nationalstaat bilden können, nicht aber Stadtstaaten wie Venedig. Das gilt auch für die revolutionäre Repubblica di San Marco des Jahres 1848/49, der Nievo bei aller Bewunderung des Widerstandes gegen die Herrschaft Österreichs mit Skepsis gegenüberstand, weil sie noch einmal zu verlängern suchte, was keine Zukunft haben konnte. Nievos Treue zum alten Venedig war anderer Art. Er wollte die besten Traditionen der untergegangenen Republik in den jungen italienischen Nationalstaat einschmelzen, und das hieß zugleich, er wollte Venedig von seiner Fixierung auf die Vergangenheit befreien, wollte es zum integralen Bestandteil des modernen Italien machen, so wie er in Sizilien als Offizier und Finanzverwalter, wenn auch vergeblich, an der Einbeziehung des traditionsverhafteten Südens in die Infrastruktur des Nationalstaats arbeitete. Italien, so sein politischhistorisches Credo, konnte nicht ohne Venedig Italien werden, so wie Venedig ohne Italien keine Zukunft hatte. Um die Jahreswende 1859/60, als er schon zu den Alpenjägern Garibaldis gestoßen war, hat Nievo dieses politische Credo in einem hinreißenden Essay unter dem programmatischen Titel Venezia e la libertà d’Italia ( Venedig und die Freiheit Italiens ) niedergelegt. Venedig ist darin der Statthalter des untergegangenen antiken Rom, die venezianische Republik nimmt dessen patrizisches wie plebejisches Erbe in sich auf und verteidigt die alte lateinische Freiheit gegen die Franzosen wie gegen den deutschen Kaiser Barbarossa, gegen die Liga von Cambrai wie gegen das osmanische Reich. Weil es die politische Tradition des antiken Italien in sich aufgenommen und geschützt hat, kommt Venedig, so die Pointe des Essays, im Prozess der Herausbildung des modernen italienischen Nationalstaates eine Schlüsselrolle zu. Es musste seine Selbständigkeit verlieren, gewann aber zugleich die Chance, sein jahrhundertealtes Training des Ausgleichs und der Selbstbehauptung gegenüber fremden Mächten in den Dienst des neuen Vaterlandes zu stellen. Auf diesen Prozess des Umschmelzens der venezianischen Tradition setzte Nievo. Den voluntaristischen Umtrieben der Carbonari seiner Zeit, denen im Roman Angelo di bontà die Aktivitäten der ominösen Freimaurer entsprechen, die zur Erosion des Ancien Regime beitragen, stand er eher skeptisch gegenüber. Es ist leicht, über die Unbedenklichkeit zu spotten, mit der Nievo das moderne Rom wie das Florenz der Renaissance, das anti-habsburgische Piemont und Turin wie die Lombardei und das Mailand Manzonis in den Hintergrund treten lässt, um Venedig die Position der heimlichen Hauptstadt des modernen Italien zuweisen zu können. Aber diese Unbedenklichkeit war notwendig, um den Dekadenzmythos, der Venedig spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert in einer ewig währenden Vergangenheit erstarren ließ, durch einen Gegenmythos herauszufordern. In diesem Gegenmythos werden die Leinen gekappt, die mit großem Erfolg beim Publikum die Gondeln Venedigs immer fester an das Bild des Sarges banden, und aus der Republik, die an ihrer Unfähigkeit zu Reformen zugrunde geht, aus der Stadt der Schwüle und des Todes wird wieder eine Stadt, die um ihre Zukunft kämpft. Zum Glück für den deutschen Leser gibt es seit 2005 die vorzügliche und vollständige Übersetzung des großen Romans Confessioni d’un Italiano,
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