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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition)
Autoren: Ippolito Nievo
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Leben selbst theatralisch geworden war. In Nievos Roman ist vor allem dem jungen Cavaliere Celio, der einen beliebten Theaternamen trägt, die Schauspielerei zur zweiten Natur geworden. Wenn er Celios Verführungsversuche beschreibt, greift der Erzähler zum Repertoire des Theaterkritikers und lässt den jungen Mann, der zwischen Wahrheit und Lüge, echtem Gefühl und Komödie schwankt, durch die Rollenfächer der zeitgenössischen Bühne gleiten. Dieser junge Mann muss nicht nur die Teilnahme an der dilettantischen Verschwörung gegen den Inquisitor Formiani hinter sich lassen, um am Ende als Gatte des Engels an Güte in Frage zu kommen. Er muss zugleich die Verwandlung vom Schauspieler der Liebe zum wahrhaft Liebenden durchlaufen, um sich die familiäre Idylle zu verdienen.
    Diese Idylle aber, mit augenzwinkernden Anspielungen auf das endliche Glück der Verlobten Alessandro Manzonis versehen, ist nur der eine der beiden Schlüsse, mit denen Nievo seinen Romanerstling ausgestattet hat. Die Politik, die in der Idylle zugunsten des bürgerlichen Privatlebens abgedankt hat, meldet sich im zweiten Schluss umso nachdrücklicher zu Wort. Ihm geht voraus, dass der Plan des alten Inquisitors gescheitert und er gestorben ist, ohne den ersehnten Statthalter erhalten zu haben. Aus seinem Testament folgt nichts, was die innere Erosion der Republik aufhalten könnte, seine Erben werden sein Vermögen verprassen und verspielen. Die Hauptfigur des zweiten Schlusses aber ist nicht der Senator, sondern sein Pendant auf der Ebene der Diener, der Gerichtsschreiber Chirichillo. Mit seiner hageren Gestalt und seinen langen, immer schwarz umhüllten Beinen gehört dieses Faktotum, das in Venedig wie auf der Terraferma seine Dienste mit gleicher Zuverlässigkeit verrichtet, unzweifelhaft ins Rollenfach des komisch-eigenbrötlerischen Alten. Aber Chirichillo, mit dem Nievo den hintergründigen Schreiberfiguren in der Literatur des 19. Jahrhunderts eine originelle Variante hinzugefügt hat, ist nicht nur komisch. Fast mehr noch als dem greisen Inquisitor hat Ippolito Nievo ihm, dem Mann aus dem Volk, die Aufgabe anvertraut, das alte, untergehende Venedig zu verkörpern. Er hat, vom Vater des Inquisitors gefördert, gemeinsam mit diesem (und wie Nievo) in Padua die Rechte studiert. Er ist es, der in ihrer Kindheit auf dem Lande der Titelheldin ihre naive Tugend eingepflanzt hat.
    Wenn er selbst eine Maske trägt, dann ist es allenfalls die der beträchtlichen Skurrilität, mit der ihn sein Autor ausgestattet hat. Diese Maske scheint ihn fest in die Komödie zu bannen. Aber er wirft sie am Ende ab, und aus dem komischen Alten tritt der Prophet der realhistorischen Zukunft Venedigs heraus. Die Wiedergeburtslehre, der er seit je anhängt und die dazu beiträgt, dass er in einer kleinen Welt das Gespött der Leute auf sich zieht, gibt ihm, als er sich dem Tod nahe fühlt, die Vorstellung ein, er werde als Kaiser von ganz besonderem Schlage zurückkehren. Es obliegt dem Erzähler, daraus in ironischem Ton die ernste Botschaft herauszulösen: das Todesdatum Chirichillos im November 1768 ist zugleich das Datum, an dem dieser künftige Kaiser gezeugt wurde, der Totengräber Venedigs. Durch diese Schlusspointe wird das Jahr 1797, in dem die Truppen Napoleons die zum Untergang bestimmte Republik eroberten und wenig später im Frieden von Campoformio an Österreich abtraten, zum perspektivischen Fluchtpunkt des Romans. Und dieser selbst rückt damit näher an die Gegenwart des Jahres 1856 heran, in dem er veröffentlicht wurde und in dem die Generation der Großväter das Ende der Republik Venedig noch selbst erlebt hatte.
    In den wenigen Jahren, die ihm nach der Publikation von Angelo di bontà noch verblieben, hat Ippolito Nievo die Verbindungslinien ausgezogen, die von der Prophezeiung des alten Chirichillo in jenes zwielichtige Jahrzehnt des Übergangs führen, in dem er lebte und rastlos schrieb. Dass das nach der Niederlage von 1849 wieder an Österreich gefallene Venedig 1866 Teil des jungen italienischen Nationalstaats wurde, hat er nicht mehr erlebt. Aber in seinem monumentalen nachgelassenen Manuskript Die Bekenntnisse eines Italieners ist ebendies die Frage: wie sich die Geschichte Venedigs zur Geschichte Italiens verhält. Nievo hat für den alten Chirichillo aus seinem Romanerstling einen Nachfolger ersonnen, der sich dieser Frage stellt. Carlo Altoviti, der Ich-Erzähler und Held der Bekenntnisse, blickt Mitte der 1850er Jahre als alter
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